Der Tempel
möglichen Fahndungsplakaten gesehen hatte, verursachte ihr sein leibhaftiger Anblick eine Gänsehaut.
Sie erkannte das nach vorn gekämmte Haar und die schmalen Augen sogleich wieder. Und die linke Hand, die nur vier Finger hatte.
Sie hatte Hei nr ich Anistase vor sich.
Wortlos formte Anistase ein »V« mit den Fingern und zeigte auf das Geländefahrzeug.
Schon stürmte ein Dutzend seiner mit G-11 bewaffneten Männer zum Flusspfad und weiter zum Spalt und zum Tempel.
Sechs weitere Männer rannten zum Geländefahrzeug, während die übrigen zwölf eine Verteidigungsstellung um das Dorf einnahmen.
Zwei Männer blieben abseits und bewachten den Störfunk der Nazis.
Dabei handelte es sich um einen kleinen Apparat von der Größe eines Rucksacks, Impulsgenerator genannt, der feindliche Funksignale störte, indem er einen kontrollierten, elektromagnetischen Impuls aussandte, abgekürzt EMI.
Der Apparat war ziemlich einzigartig. Üblicherweise beeinflusste ein elektromagnetischer Impuls alles mit einer eingebauten CPU – Computer, Fernsehgeräte, Kommunikationssysteme. Ein solcher Impuls wird unkontrollierter EMI genannt. Weil die Nazis jedoch die Frequenz ihres Impulses kontrollierten und dafür sorgten, dass ihre eigenen Funkgeräte auf höheren Frequenzen sendeten, waren sie in der Lage, den Funkverkehr ihrer Feinde zu stören und gleichzeitig die eigene Funkverbindung aufrechtzuerhalten.
Genau das taten sie gerade.
Die sechs Nazis erreichten das Geländefahrzeug und stellten fest, dass die Fensterläden geschlossen und die Luken verriegelt waren.
Nash, Schröder und Renée hatten sich in verschiedene Ecken gekauert und hielten den Atem an.
Die Männer des Sturmtrupps verloren keine Zeit.
Sogleich krochen sie unter das große gepanzerte Fahrzeug und brachten Sprengstoff am Unterboden an.
***
Race rannte.
Immer weiter nach oben folgte er der weiten Krümmung des Pfades.
Seine Beine zitterten. Sein Herz pochte heftig.
Er erreichte die Hängebrücke. Stürmte darüber. Eilte die Steintreppe hinauf, die zum Tempel führte.
Rannte durch das überhängende Farnkraut und fand sich plötzlich in der Lichtung vor dem Portal wieder.
Sie war völlig verlassen.
Kein Lebewesen, weder Mann noch Katze, war in Sicht.
Das Portal des Tempels stand weit offen und wirkte im Nebel wie eine Bedrohung. Die Stufen hinab ins Innere waren in Schatten gehüllt.
Um keinen Preis eintreten.
Der Tod lauert im Innern.
Race hielt das M-16 vor sich, schaltete die Lampe auf dem Gewehrlauf ein und trat vorsichtig in das Portal. Er blieb auf der großen steinernen Türschwelle stehen – umgeben von den Schrecken erregenden Schnitzereien von Rapas und kreischenden Menschen – und spähte in die Schwärze hinab.
»Van Lewen!«, zischte er. »Van Lewen! Sind Sie da drin?«
Keine Antwort.
Er ging eine Stufe hinab, das Gewehr ungeschickt vor sich haltend.
Da vernahm er eine Antwort.
Ein langes, langsames Knurren von irgendwo tief unten im Tempel.
Ja-a.
Race packte das Gewehr ein wenig fester und tat mit angehaltenem Atem einen weiteren Schritt in den Tempel hinab.
Zehn Schritte weiter und er stand in einem dunklen Tunnel mit Steinwänden, der rechts in einer weiten, sanften Kurve in die Tiefe führte.
Er bemerkte eine Nische in der Mauer und richtete den Strahl seiner Taschenlampe darauf.
Ein entsetzlich zugerichtetes Skelett erwiderte seinen Blick.
Der Hinterkopf war eingeschlagen worden, ein Arm fehlte und der Mund stand zu einem erstarrten Schrei des Entsetzens auf. Es trug ein uraltes Lederwams.
Entsetzt wich Race einen Schritt von der schmutzigen, ekelhaften Gestalt zurück.
Da bemerkte er den Gegenstand um den Hals des Toten. Er war nur gerade eben erkennbar, weil er tief in den Kerben der Wirbelsäule des Skeletts verborgen war. Race beugte sich vor, um ihn besser in Augenschein nehmen zu können.
Es war ein Lederhalsband.
Race ergriff den dünnen Lederriemen und zog daran. Wenige Sekunden später tauchte ein strahlend grüner Smaragd hinter dem Knochenhals auf, der an dem Lederhalsband befestigt war.
Race’ Herz setzte einen Schlag lang aus. Er kannte diesen Smaragdanhänger, hatte er doch erst vor kurzem etwas darüber gelesen.
Er gehörte Renco.
Das war das Halsband, das die Hohe Priesterin in Coricancha Renco in der Nacht überreicht hatte, da er das Götzenbild aus Cusco entführte.
Erneut blickte Race voller Entsetzen auf das Skelett.
Renco!
Race streifte dem Skelett das Halsband ab und hielt
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