Der Tempelmord
über die schmerzenden Rippen.
»Siehst du das dort oben?« Der Seemann wies mit ausgestrecktem Arm zum Dach des Tempels empor. »Kannst du die dünne Rauchsäule erkennen? Dort muß er stecken!«
Philippos kniff die Augen zusammen und blickte in die Richtung, in die der Kapitän wies, doch konnte er nichts erkennen.
Eine Bö fegte über die Dächer der Stadt hinweg, und am Horizont türmten sich drohend dunkle Wolken. Hatte der Wind die Rauchsäule aufgelöst? Oder hatte Abimilku sich geirrt? Einen Augenblick lang zögerte Philippos. Wenn sie sich irrten, würde keine Zeit mehr bleiben, um auf eines der anderen Dächer zu gelangen. Doch welche Wahl hatte er schon . Er blickte zum Hauptportal des Tempels, wo sich die Hohepriester und die Würdenträger der Stadt versammelt hatten. Dort würde man sie niemals durchlassen.
»Gibt es noch einen anderen Eingang zum Tempel?«
Abimilku nickte. »Auf der Rückseite.«
»Dann laß uns nicht länger warten!«
Samu hatte darauf bestanden, Marcus Antonius mit in die Stadt zu begleiten. Zuerst war der Feldherr der Meinung gewesen, daß sie als Frau bei diesem gefährlichen Unternehmen fehl am Platz sei, doch schließlich vermochte sie ihn dadurch zu überzeugen, daß sie die einzige Ortskundige war.
Für den Fall, daß sie aus der Stadt fliehen mußten, wäre sie diejenige, die die Führung übernehmen würde.
Schon zwei Stunden vor Morgengrauen hatte man Samu geweckt und in das Zelt des Praefectus equitum gebracht.
Dort hatte sie einen groben Plan der Stadt in den Sand gezeichnet. Marcus Antonius wollte vor allem wissen, wie weit der sidonische Hafen vom Tempelplatz entfernt war und welche Fluchtwege man zum Hafen einschlagen konnte. Danach hatte er dafür gesorgt, daß man Samu ein parthisches Reiterkostüm brachte.
Es war das erste Mal in ihrem Leben, daß die Priesterin Hosen hatte anziehen müssen. Obwohl dieses Kleidungsstück zum Reiten unbestreitbar praktischer war als ein Rock, fühlte sie sich darin unwohl, ja fast schon eingesperrt. Die Beine der Hose waren weit geschnitten und mit stilisierten Rosenblüten bestickt. Als Oberteil trug sie eine kurze Reittunica mit langen Ärmeln. Dazu trug sie eine skythische Mütze, die ihr langes Haar verbarg. So maskiert, konnte man sie auf ein paar Schritt Entfernung durchaus für einen zart gebauten Knaben halten.
Mit Sonnenaufgang war der kleine Reitertrupp aufgebrochen.
Im Gefolge des Praefectus equitum befanden sich lediglich drei Tribunen und zehn gallische Reiter, die von einem Decurio kommandiert wurden. Die großen, blonden Krieger stellten durchaus eine eindrucksvolle Leibwache dar, doch was vermochten sie schon gegen eine ganze Stadt auszurichten? In den frühen Morgenstunden waren sie im scharfen Galopp am Strand entlanggeritten. Während der fünften Tagesstunde machten sie, schon in Sichtweite von Tyros, eine Rast und setzten dann in gemächlichem Tempo ihren Weg zur Hafenstadt fort. Vor den Toren wurden sie von einer kleinen Abteilung Fußsoldaten empfangen. Auch der Kommandant der Garnison von Tyros war anwesend und warnte Marcus Antonius noch einmal eindringlich vor der Unruhe, die unter den Bürgern herrschte. Doch der Feldherr ließ sich nicht beirren.
Flankiert von den Fußsoldaten, zogen sie durch die auf dem Festland gelegenen Viertel von Tyros, bis sie den großen Damm erreichten. Dort schloß sich ihnen ein weiterer Trupp Soldaten an.
Die schwüle Hitze machte Samu zu schaffen. Ihre Hose klebte ihr schweißnaß an den Beinen und scheuerte an ihren Leisten, so daß sie wünschte, sie würde ein Kleid tragen. Schon auf dem Damm glaubte sie spüren zu können, welche Bedrohung von der Inselstadt ausging.
Dunkle Wolken ballten sich hinter den hohen Festungswällen weit draußen auf dem Meer zusammen. Ob die Meeresgötter die Tyrener wohl unterstützten? Nervös blickte die Priesterin auf die See und dachte daran, daß dort, wo sie jetzt ritt, eigentlich das Meer sein sollte. Der breite Damm kam ihr angesichts der weiten Wasserfläche jetzt so schmal wie eine Nabelschnur vor, und ihr wurde bewußt, wie vergänglich das Werk der Menschen im Vergleich zu den Gewalten der Götter war.
Die Gallier hinter ihr unterhielten sich gedämpft in ihrer seltsamen Sprache, die der Priesterin so fremd wie Vogelgezwitscher war. Ihre Stimmen schienen ein klein wenig schriller zu klingen, und sie lachten auch lauter über ihre Späße als zuvor.
Auch sie schienen die stumme Bedrohung zu spüren, die von der
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