Der Tempelmord
Raunen.
»Kinder des Melkart, der Gott hat den Römer freundlich empfangen.« Die Stimme des Hohepriesters erklang seltsam tonlos, so als sei er mit sich uneins. »Er, der das Licht des Himmels ist und die Fackel in der Finsternis, er hat uns kein Zeichen gegeben, uns gegen die Pläne der Römer zu empören. So empfangt sie also in Frieden, denn sonst mag es sein, daß der Gott sich gegen uns wendet.«
Samu konnte beobachten, wie Marcus Antonius und Chelbes kurz miteinander sprachen. Als Azemilkos schließlich seine Rede beendet hatte, trat Antonius vor und wand sich in holprigem Griechisch an die Bürger. »Männer von Tyros! Ich weiß sehr wohl, daß mancher von euch einen Dolch oder gar ein Schwert unter seinem Gewande verbirgt und daß ihr gekommen wart, um mich sterben zu sehen. Doch weiß ich jetzt auch, warum der Zorn in euren Herzen aufblühte und ihr lerntet, uns Römer zu hassen, obwohl ihr erst vor wenigen Jahren den Feldherren Pompeius so freundlich empfangen habt und sein Legat Marcus Aemilius Scaurus eure Stadt mit dem Titel einer Civitas foederata auszeichnete.« Antonius machte eine bedeutungsschwere Pause.
»Statt hier auf diesem Platz eine Fehde auszutragen, bei der wir alle nur verlieren können, laßt uns den Bund erneuern, den ihr einst mit Rom geschlossen habt! Der Proconsul Aulus Gabinius schickt mich, um euch in seinem Namen zu schwören, daß es, solange er über die Provinz Syria gebietet, kein Aquaeduct in eurer Stadt geben wird. Ferner schwöre ich bei Jupiter, daß niemand von euch, der heute in Waffen erschienen ist, befürchten muß, dafür bestraft zu werden, daß er bereit war, sich gegen Rom zu erheben. Ihr habt wie aufrechte Männer gehandelt! Wäre ich an eurer Stelle gewesen, so hätte auch ich zum Schwert gegriffen, um Unheil von der Stadt abzuwenden. Kein Römer soll eure Götter beleidigen, und aller Streit möge hiermit nun ruhen. So sei es im Namen des Senates und des römischen Volkes!«
Einige Herzschläge lang herrschte Schweigen. Dann ertönte eine einzelne Stimme: »Es lebe Marcus Antonius!« Damit war die Stille gebrochen. Zu Hunderten fielen die Tyrener in den Jubelruf ein.
Vom Hafen her ertönte Donnergrollen, und ein Blitz tauchte den Platz in gleißendes Licht. Ein einzelner Regentropfen streifte die Wange der Priesterin, ein zweiter ihre Nasenspitze. Noch immer hallten die Jubelrufe über den Vorplatz. Samu beobachtete den Feldherren, der sich ganz offensichtlich in der Pose des Triumphators wohlfühlte.
Die Pforten des Himmel öffneten sich, und ein schwerer Platzregen ging nieder. Binnen weniger Atemzüge hatte Samu keinen trockenen Faden mehr am Leib. Die Legionäre murrten unzufrieden, hielten aber ihre Formation, während die Bürger eiligst Zuflucht im Trockenen suchten.
Marcus Antonius kam mit seinem Gefolge die Treppe des Tempels hinab und stieß wieder zu seinen Reitern. Samu schenkte er ein kurzes Lächeln, dann wandte er sich an den Tribun, der auf dem Platz zurückgeblieben war. »Lucius Septimius! Nimm dir zehn Mann und folge der Priesterin. Sie wird dich zu dem Haus eines Handelsherren führen, der in einen Giftanschlag auf den König Ptolemaios verwickelt ist. Bring mir den Kerl tot oder lebendig.« Der Tribun nickte stumm und wandte sich dann an den Stadtkommandanten.
»Wie kannst du mit Waffen gegen einen Tyrener vorgehen, Antonius?« Die Priesterin blickte den jungen Feldherren sprachlos an. »Du hast doch gerade erst bei Jupiter geschworen, daß du niemanden bestrafen willst, der sich gegen Rom erhoben hat.«
Antonius lächelte verschlagen. »Du hast mir nicht genau zugehört, Priesterin. Ich habe geschworen, niemanden zu bestrafen, der auf diesem Platz in Waffen erschienen ist. Da dein Verschwörer mich sogar davor warnen ließ, daß ein Anschlag auf mein Leben geplant war, kann ich mir nicht vorstellen, daß er in Waffen auf dem Tempelplatz anwesend war. Schaff mir diesen Bastard also her. Ich will ihn noch heute verurteilen.«
Von Norden her erklang, durch den Regen gedämpft, das Geräusch von Marschtritten, und schon wenig später erschien die Spitze einer Kolonne römischer Soldaten auf dem Platz.
Fassungslos starrte die Priesterin auf die Soldaten und schlug dann schnell mit der Linken ein Schutzzeichen gegen böse Magie. Hatte der Römer den Göttern des Windes geboten? War der Feldherr auch ein Zauberer? Samu hatte davon gehört, daß es so etwas bei den Römern geben sollte. So war Caesar, der in Gallien Krieg führte,
Weitere Kostenlose Bücher