Der Tempelmord
Haare an seinen Schläfen waren dichter geworden, seit er zum letzten Mal in einen Spiegel geblickt hatte. Vielleicht sollte er sie färben? Sie machten einen alten Mann aus ihm. Der Metallgriff des Spiegels lag kalt in der Hand des Griechen.
Diese Ägypter! Alle ihre Götter hatten irgend etwas von Tieren an sich. Was für ein merkwürdiges Volk! Philippos spreizte seinen Daumen zur Seite und blickte der Götterfigur ins Gesicht. Tierohren ... Sein Atem stockte. Jetzt, von nahem, erkannte er, aus welchem Metall der Griff gefertigt war. Es war keine polierte Bronze, wie er zuerst angenommen hatte, sondern lauteres Gold! Erschrocken stellte er den Spiegel auf den Tisch zurück. Woher beim Zeus hatte Buphagos das Geld, sich einen solchen Spiegel zu leisten?
Ein Geräusch an der Tür ließ Philippos herumfahren. Eine schlanke, junge Frau war in das Zimmer getreten. Philippos kannte sie nur zu gut. Thais, die einflußreichste Dame am Hof des Ptolemaios. Auf Wunsch des Königs mußte sie mit allen Ehren behandelt werden, doch war sie in den Augen des Griechen nichts weiter als eine Hetaire. Niemand wußte, woher sie kam, und sie selbst hatte mindestens ein Dutzend widersprechender Gerüchte über ihre Herkunft verbreitet. Soweit Philippos wußte, war sie vor der Flucht aus Alexandria an den Hof des Königs gekommen und hatte mit ihrem kunstfertigen Flötenspiel seine Gunst errungen. Wie Aspasia, die einst das Herz des Perikles gewonnen hatte, so verstand sich auch Thais durchaus auf mehr als nur die Künste der Liebe. Trotz ihrer Jugend war sie erstaunlich gebildet, kannte die Schriften der Philosophen, beherrschte mehrere Sprachen und Instrumente und war ein steter Quell der Kurzweil. Doch obwohl sie nicht allein dem König ihre Zuneigung schenkte, hatte sie sich Philippos bislang immer verweigert.
Thais schien einen Augenblick lang nicht minder überrascht als er zu sein. Dann hoben sich drohend ihre Augenbrauen.
»Bist du hierhergekommen, um einen Toten zu bestehlen?«
»Du solltest nicht von dir auf andere schließen, schöne Tochter der Nacht«, entgegnete Philippos. »Darf ich erfahren, was mir die Ehre verschafft, dir hier zu begegnen?«
»Allein die Tatsache, daß ich nicht um deine Anwesenheit wußte, alter Bock. Ich hoffe für dich, daß du dich nicht zu irgendwelchen Dummheiten hinreißen läßt. Ich weiß sehr wohl, was Buphagos in seinem Zimmer verwahrte, und wie ich sehe, hast du seinen Homer bereits an dich genommen.«
Philippos räusperte sich. »Ich bin im Auftrag des Königs hier. Ich soll mich um die ...«
»Im Auftrag des Neuen Osiris?« Thais lachte schallend. »Du solltest nicht Götter in deine Lügen verstricken, Grieche. Ich selbst habe den ganzen Morgen an der Seite des Göttlichen verbracht. Hätte er dir irgend etwas befohlen, ich wüßte es!«
»Meine Befehle sind von gestern abend.« Philippos spürte kalten Angstschweiß seinen Nacken hinunterrinnen.
Es war wirklich nicht klug gewesen, sich auf Ptolemaios zu berufen.
Dieses kleine Flittchen hatte zu viel Einfluß auf den Herrscher, und es wäre ihr ein leichtes, seine Lügen aufzudecken.
Die Hetaire lächelte böse. »Gestern abend? Wir werden sehen, ob der Neue Osiris sich erinnert. Er ist ein Gott, und Götter vergessen nichts!«
Der Arzt zuckte mit den Schultern und versuchte, möglichst gelassen zu wirken. »Frage ihn ruhig nach mir. Übrigens schätze ich, daß ihn deine Anwesenheit hier nicht minder interessieren wird als die meine. Was macht eine Frau mit deinem Ruf im Zimmer eines Toten? An einem Ort also, an den sich kaum jemand freiwillig begeben wird. Könnte es sein, daß schon bald noch jemand durch diese Türe treten wird? Einen ungestörteren Ort dürfte es innerhalb der Mauern dieser Villa kaum geben.«
»Du interessierst dich eindeutig zu sehr für Dinge, die nicht die Sache eines Arztes sind, Philippos! Wenn du darauf bestehst, können wir gerne hier warten, und du wirst sehen, wie wenig Wahrheit in deinen ehrlosen Unterstellungen liegt. Übrigens, stimmt es, was man sich von dir erzählt? Teilen Frauen wirklich nur noch dann mit dir das Lager, wenn du ihnen Geld dafür bietest?«
Philippos errötete. Dieses Weib hatte eine Zunge wie ein Gladius! Er durfte sich jetzt keine Blöße geben! Mit Mühe zwang er sich zu einem Lächeln. »Ich denke, diese Geschichten sind genauso wahr wie das, was man sich über dich erzählt. Oder stimmt es etwa, daß du dich vor ein paar Tagen, auf Wunsch unseres göttlichen
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