Der Tempelmord
verläßt.«
Samu verneigte sich vor dem Priester. »Ich danke dir für deinen Dienst. Möge das Licht des Melkart hell über deinen Wegen leuchten.«
Nachdenklich verließ sie den Tempel. Was mochte der eigentümliche Orakelspruch zu bedeuten haben? Worüber würde sie trauern, wenn sie die Stadt verließ und den Giftmischer aufgespürt hatte? Sie sollte Philippos warnen! Womöglich würde ihm ein Unglück widerfahren. Er durfte nicht mit den Muscheltauchern aufs Meer hinausfahren!
Samu machte sich auf den Weg zum Hafen.
1 1. KAPITEL
D er Arzt musterte die Phönizier in dem kleinen Segelboot voller Mißtrauen. Es waren ausnahmslos junge Kerle.
Simon hatte mit ihnen in der fremden Sprache der Syrer darüber debattiert, ob sie Philippos mit in ihr Boot nehmen würden. Das Gespräch hatte lange gedauert und war alles andere als ruhig verlaufen. Endlich hatte der junge Mann, der das Kommando über das Segelboot führte, eingeschlagen und Philippos einen Wink gegeben, an Bord zu kommen. Wie Simon zu diesem Ergebnis gekommen war, blieb dem Griechen ein Rätsel. Ganz offenkundig war er allerdings nicht sonderlich willkommen auf dem Boot. Vermutlich hatte der Kapitän irgendeine alte Schuld damit beglichen, daß er ihn in seine Mannschaft aufnahm, mutmaßte der Arzt.
Schon als sie aus dem Hafen ausliefen, hatte sich gezeigt, wie wenig Philippos zum Seemann taugte. Die hohen Mauern der Kais und ein ungünstiger Wind machten es notwendig, das schlanke, kleine Segelboot durch die enge Hafenausfahrt zu rudern. Während die anderen Phönizier schnell in einen regelmäßigen Takt fanden, hatte der Grieche alle Mühe gehabt, mit ihnen mitzuhalten, und immer wieder die Ruderer an der Steuerbordseite durcheinandergebracht. Schließlich hatte man ihn unter allerlei Flüchen von seiner Ruderbank vertrieben und ihm einen Platz nahe dem Mast zugewiesen, wo er niemanden störte.
Außerhalb des Hafens hatten die Phönizier das kleine Segel gehißt und waren vor dem Wind bis zu einem Riff gefahren, das nur zwei Stadien vom Hafen entfernt lag. Dort warfen sie zwei schwere Anker aus und holten das Segel nieder. Während die anderen noch damit beschäftigt waren, das Segeltuch als Sonnenschutz über das Deck zu spannen, trat Abimilku, der Kapitän des Bootes, an Philippos heran.
»Du wirst nun Gelegenheit haben, uns zu beweisen, ob du als Taucher geschickter bist als am Ruder. Besitzt du ein Messer?«
Philippos schüttelte den Kopf. »Ich besitze zwar eins, doch trage ich es nicht bei mir.«
»Wie ungewöhnlich für einen Söldner. Du kannst meines geliehen haben.« Abimilku zog eine breite und sehr dicke Klinge aus der Lederscheide an seinem Gürtel und drückte sie dem Arzt in die Hand. »Mit den langen Lederriemen am Griff bindest du dir das Messer am Handgelenk fest. So kannst du es im Wasser nicht verlieren, und es behindert dich nicht zu sehr beim Schwimmen. Du mußt am Riff hinabtauchen und nach großen Muscheln Ausschau halten. Wir brauchen sie als Köder für die Purpurschnecken, die wir später fangen wollen. Du mußt darauf achten, daß du die Muscheln vom Felsen löst, ohne sie zu zerbrechen. Sie müssen noch leben, sonst haben sie keinen Wert für uns. Du wirst ein Netz mitbekommen, in dem du die Muscheln verstauen kannst. Und paß auf, daß du nicht zu dicht bei den Klippen bist, wenn du auftauchst. Die Meeresdünung könnte dich gegen die scharfen Felskanten drücken.«
Philippos nickte. Mit mulmigem Gefühl starrte er erst auf das Messer und dann auf das Meer. Es mochten mehr als zwanzig Jahre vergangen sein, seit er zum letzten Mal getaucht war.
Abimilku schien seine Gedanken erraten zu haben. Der Phönizier setzte ein schiefes Lächeln auf und blickte ihn mit seinen dunklen Augen triumphierend an. »Du mußt dort nicht hinunter. Ein Wort von dir genügt ... Wir werden dich den Tag über im Boot behalten und heute abend wieder im Hafen absetzen. Ich habe Simon gegenüber meine Schuldigkeit getan, und du ... Du wirst leben. Du weißt doch wohl, wie gefährlich es ist, in das dunkle Reich Poseidons hinabzusteigen.«
Philippos nahm dem Kapitän das Messer aus der Hand. »Ich weiß. Wann fangen wir an?« Kaum waren die Worte über seine Lippen, da verfluchte der Arzt sich schon innerlich für seinen Stolz. War er denn wahnsinnig? Der junge Mann hatte ihm ein Angebot gemacht, sich halbwegs glimpflich aus dieser Angelegenheit wieder herauszubringen, und was tat er? Es war nicht zu fassen! Welcher Daimon
Weitere Kostenlose Bücher