Der Tempelmord
sollte. Doch die Phönizier würden ihn auslachen. Er hatte genau gesehen, was für Muscheln man zum Purpurschneckenfang brauchte.
Mit zwei kurzen Stößen glitt er höher. Der Druck in seinen Lungen wurde immer unerträglicher. Verzweifelt huschten seine Blicke über den Felsen. Da endlich entdeckte er eine der großen, gelbweißen Muscheln. Er packte das Messer und schwamm dichter an den Felsen heran. Vor Anspannung zitterten ihm die Hände, als er versuchte, die Muschel vom Riff zu lösen. Sie schien mit dem dunklen Felsgestein regelrecht verwachsen zu sein. Vor Anstrengung atmete er aus. Große, glasige Blasen strichen über sein Gesicht. Endlich löste sich das Tier. Ohne es näher anzusehen, steckte er es in das Netz. Er mußte hier weg. Nach oben! Atmen!
Mit einem Stoß drückte er sich vom Felsen ab. Etwas schrammte schmerzhaft über seine Füße. Der dunkle Bootsschatten schien ihm unendlich weit entfernt. Noch einmal atmete er aus.
Das Bedürfnis, Luft zu holen, war fast unerträglich. Die schimmernde Wasseroberfläche schien so nah, und doch konnte er sie nicht erreichen. Verzweifelt stieß Philippos die Arme nach oben und paddelte mit den Füßen. Er hatte verloren ... Hätte er nur auf Samu gehört! Er würde sterben. Und alles nur, weil er zu stolz gewesen war, auf die Priesterin zu hören.
Das Gesicht Daphnes schimmerte zwischen den Lichtstrahlen, die durch das Wasser brachen. Er würde jetzt einatmen ... Seine Lungen mit brennendem Salzwasser füllen und sich sinken lassen. Der Kampf war verloren.
Der Kopf des Griechen schoß durch die Wellen. Keuchend hechelte er nach Luft. Bei den Göttern, er lebte! Ein heftiger Schlag ließ ihn pfeifend ausatmen. Er war zu dicht an den Klippen. Die Dünung warf ihn gegen den scharfkantigen Felsen.
Verzweifelt versuchte er, sich an dem muschelverkrusteten Riff festzuklammern. Die dünnen Schalen schnitten ihm in die Finger. Wieder schleuderte ihn eine Woge gegen den Felsen.
Aus dem Boot war lautes Rufen zu hören. Philippos’ Augen brannten vom Salzwasser. Er konnte kaum noch sehen.
Jemand packte ihn bei der Schulter. Seine Brust schrammte über die Muschelsplitter. Dann wurde er nach hinten gerissen.
Er ließ sich treiben. Ein zweites Paar Hände griff nach seinen Armen. Blinzelnd sah er, wie der Felsen sich entfernte.
Endlich wurde er über die Reling ins Boot gezogen. Jemand rieb ihn mit einer groben Wolldecke ab. Einer der Männer reichte ihm einen Tonbecher mit kaltem Wasser.
»Du wirst nicht mehr tauchen. Wir haben gesehen, daß du Mut hast, Grieche. Du brauchst uns nichts mehr zu beweisen. In deinem Alter taugt man nicht mehr als Schneckentaucher.«
»Meine Muschel«, stammelte der Arzt erschöpft.
»Sie ist zerbrochen. Begreifst du, Grieche? Du hast dein Leben für eine Muschel eingesetzt, die fast nichts wert ist!
Wir können sie höchstens noch als Köderfleisch verwerten. Auf meinem Boot wirst du nicht noch einmal dein Leben für eine Muschel riskieren«, schnaubte Abimilku wütend.
Philippos war zu erschöpft, um dem Tyrener noch zu widersprechen.
Der Mittag war schon weit vorangeschritten, und die Eimer mit Meerwasser im Boot waren fast bis an den Rand mit lebenden Muscheln gefüllt, als ein gellender Schrei das Geräusch der Brandung übertönte. Der Kopf Abimilkus tauchte zwischen den Wellen auf. Einen Moment lang winkte der Schiffer mit einem blutüberströmten Arm, dann war er wieder zwischen den Wogen verschwunden.
Sofort sprangen zwei der Taucher ins Wasser und schwammen zu der Stelle, wo ihr Kapitän verschwunden war. Ein etwas älterer Seemann hob einen langen Speer auf und stellte sich nach vorne in den Bug des Bootes, um von dort aufmerksam die Wellen zu beobachten. Keiner sprach an Bord. Alle Blicke waren gespannt auf das Meer gerichtet.
Auch Philippos hatte sich zur Reling gewandt und starrte auf das schimmernde dunkle Wasser. Einen Moment lang glaubte er, bei den Kuppen eine Wolke von Blut dicht unter der Wasseroberfläche zu erkennen, doch mochte es auch nur ein Schatten gewesen sein.
Eine Ewigkeit schien vergangen zu sein, bis die beiden Taucher endlich wieder zu sehen waren. Zwischen ihnen trieb der leblos wirkende Körper des Kapitäns.
»Unser Boot ist verflucht«, murmelte der Bärtige mit dem Speer und spuckte in die See. »Das ist jetzt schon der dritte in diesem Jahr. Keinen Fuß werde ich mehr auf diesen Kahn setzen.«
»Still!« zischte ein anderer. Der älteste unter den Männern hatte einen Korb an das
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