Der Tempelmord
betrunkenen Seeleuten und Schlimmeren schützen mochte.
Die ganze Nacht lang hatte sie nicht schlafen können und überlegt, wie sie der tödlichen Falle, in die sie geraten war, entgehen mochte. Es waren ihr Gerüchte zu Ohren gekommen, daß Marcus Antonius auf dem Weg nach Tyros war. Wenn sich der junge Praefectus equitum noch an sie erinnerte, würde er sie sicher unterstützen. Er war ein Gefolgsmann des Aulus Gabinius und gehörte somit in das Lager des Pompeius. Der mächtige römische Feldherr war ein Freund des Pharaos und wollte Ptolemaios wieder auf seinem Thron in Ägypten sehen. Den Römern würde sie trauen können, und bei ihnen konnte sie auch sicher sein, daß sie ein Interesse daran hätten, denjenigen aufzuspüren, der Ptolemaios das vergiftete Kohl geschickt hatte.
Gemächlich schlenderte Samu über den Markt. Sie war zuversichtlich, auch ohne die Hilfe Simons auskommen zu können.
Zunächst würde sie Melkart, dem Gott der Stadt, ein Opfer bringen und ihn um seine Unterstützung bitten. Unentschlossen blickte sie sich um. Ein Lamm oder ein Zicklein wäre ihr zu teuer. Es kam auf die Geste an und nicht darauf, daß sie vor dem Gott mit einem Reichtum prahlte, den sie nicht besaß. Ihr Blick fiel auf einen Stand, an dem sich Dutzende hölzerner Käfige stapelten. Ein Huhn oder eine Taube - das war es, was sie brauchte! Ein altes Weib mit wettergegerbter Haut und schlohweißem Haar hockte zwischen den Käfigen. Sie trug ein schlichtes, braunes Kleid, das mit bunten Flicken besetzt war. Als Samu vor ihr stehenblieb, hob die Alte den Kopf und musterte die Priesterin eindringlich. Eines ihrer Augen war mit einem milchigweißen Film überzogen.
»Du bist Ägypterin, nicht wahr?«
Samu nickte. »Verkaufst du auch weiße Tauben, Alte?«
»Weiße Tauben? Was willst du damit? Wenn du sie auf die Tafel bringst, ist es doch egal, welche Farbe die Taube hatte. Ich habe wunderbare Tauben. Weiß sind sie nicht, aber so zart, daß sie dir auf der Zunge zerfallen. In einer Soße aus Wein und Kräutern geben sie ein Mahl ab, das der Tafel eines Königs würdig wäre!«
»Ich beabsichtige aber nicht, einen König zu beköstigen. Wenn du keine Taube hast, dann gib mir ein weißes Huhn.«
Die Alte legte den Kopf schief und schnitt eine Grimasse. »Du willst wohl in den Tempel, Kindchen. Bist eine Priesterin, nicht wahr! Weißt du denn nicht, daß man dem Melkart keine Tauben und Hühner opfert? Du willst den Gott doch nicht erzürnen.«
Samu überlegte, ob die Alte sie vielleicht belügen wollte, um sie an ihrem Stand zu halten, obwohl sie offenbar keine angemessenen Opfertiere hatte.
»Dem großen Melkart mußt du Wachteln opfern, wenn du die Gunst des Gottes erringen willst. Einst hat Typhon den mächtigen Melkart im Kampf getötet. Der Heilkundige Eshmun aber hat den Gott durch eine Wachtel wieder zum Leben erweckt. Darum sind Melkart die Wachteln besonders liebe Opfertiere. Wenn du also die Gunst des Gottes erringen willst, so opfere ihm Wachteln! Ich habe einige besonders schöne, mein Kind.«
Samu musterte die Alte mißtrauisch. Die Priesterin hatte noch nie von diesem Mythos gehört, doch wußte sie auch nur sehr wenig über die verschiedenen phönizischen Stadtgötter. »Wie teuer sollen deine Wachteln denn sein?«
»Nun, normalerweise überlasse ich sie Fremden überhaupt nicht. Es sind nicht irgendwelche Wächtern, die du bei mir kaufen kannst. Gehe ruhig zu den anderen Vogelhändlern und sieh dich um. Nirgends wirst du so fette Tiere bekommen wie bei mir. Fünf silberne Shekel mußt du mir für einen Vogel geben. Das ist ein guter Preis.«
»Fünf Shekel für eine kleine Wachtel? Glaubst du, ich bin so reich wie ein pontischer König? Für fünf Shekel kannst du deine Wachteln behalten!«
»Kindchen, reg dich nicht auf! Du hast meine Wachteln gesehen, du weißt, wie gut sie sind. Fünf Shekel kostet es dich, wenn du dir eine Wachtel nimmst und sie in einem Holzkäfig trägst. Läßt du mir den Käfig hier, dann kann ich sie dir auch für vier Shekel überlassen. Billiger wirst du so schöne Vögel nirgendwo anders bekommen. Bedenke, du gehst zum Herrn dieser Stadt, um ihm zu opfern. Du wirst doch nicht etwa um Kupferstücke mit mir feilschen wollen. Dein Geiz würde den Gott erzürnen!«
Samu zögerte einen Augenblick, doch dann öffnete sie den Geldbeutel an ihrem Gürtel und nahm vier ephesische Silberstücke heraus. Die Alte begutachtete die Münzen kritisch.
Sie zeigten auf der
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