Der Tempelmord
wieder abzuschütteln. Nicht einmal dann, wenn sie Tausende erfahrener Soldaten statt nur ein paar jämmerlicher Fischer gegen die Legionen aufzubieten vermochte.
17. KAPITEL
D en Tag über hatte Samu es geschafft, sich nichts anmerken zu lassen. Am Morgen waren ihre Sklavinnen in ihr Gemach gekommen und hatten sie schminken und ankleiden wollen, doch mürrisch hatte sie die jungen Frauen wieder vertrieben. Als ihr wenig später Elagabal seine Aufwartung machte, schützte sie vor, vom Unfall und dem Schrecken des vorangegangenen Tages noch völlig ermattet zu sein. Der Kaufmann heuchelte Besorgnis, doch meinte die Priesterin, seinen Worten eine gewisse Erleichterung darüber herauszuhören, daß sie sich nicht in der Lage fühlte, das Haus zu verlassen. So verabschiedete er sich schließlich und ließ Samu auf ihrem Krankenlager zurück.
In der Nacht hatte die Priesterin keinen Schlaf mehr finden können. Ihre Angst hatte sich als stärker erwiesen als die Kraft des Schlafmittels, das man ihr verabreicht hatte. Kurz vor Morgengrauen hatte sie gehört, wie man von außen leise die Keile entfernte, mit denen ihre Tür verriegelt worden war.
Auch vernahm Samu die leisen Schritte der Sklavinnen, als diese in das Gemach vor ihrem Zimmer zurückkehrten. Den Frauen rechnete sie ihren Verrat nicht an. Sie hatten keine Wahl. Als Eigentum Elagabals waren sie dem Willen des Handelsherren ausgeliefert, auch wenn er sie formal Samu zum Geschenk gemacht hatte.
Vertrauen würde die Priesterin ihnen allerdings nicht mehr.
Den ganzen Tag über erhob sie sich kaum von ihrer Kline, scheuchte die Sklavinnen hin und her und versuchte, ein wenig des verlorenen Nachtschlafs nachzuholen.
Am späten Nachmittag schließlich schickte sie die Frauen in die Küche, um dort bei der Vorbereitung des Abendmahls zu helfen. So hatte Samu Zeit, sich für ihre Flucht bereit zu machen. Das dünne Priesterinnengewand und ihren Schmuck würde sie zurücklassen müssen. Es galt, so wenig Aufsehen wie möglich zu erregen. Wenn die Kleider und der Schmuck noch auf ihrem Zimmer waren, dann mochte sie vielleicht ein oder zwei Stunden gewinnen, in denen Elagabal darüber im Zweifel war, ob sie lediglich einen Spaziergang in die Stadt machte oder aber versuchte, ihm zu entkommen.
Samu legte einen schlicht verarbeiteten, beigefarbenen Chitonion an und drapierte darüber ein dunkelbraunes Himation. Ihre Haare ließ sie glatt über die Schultern fallen, und auch auf Schminke verzichtete die Priesterin ganz. So würde sie unter den Syrerinnen auf dem Markt und in der Stadt nicht sonderlich auffallen. Unter ihren Gewändern, direkt auf dem Leib, trug sie einen dünnen Ledergürtel, in den sie fünf Goldstücke eingenäht hatte. Außerhalb der Stadt wollte Samu sich zu den Truppen des Marcus Antonius oder aber zu Aulus Gabinius durchschlagen. Die Römer mußten wissen, was hier in Tyros geschah! Doch als Frau mochte diese Reise gefährlich werden. Allein, ohne männlichen Schutz, würde sie vermutlich einige Aufmerksamkeit erregen. Wahrscheinlich würde man sie für eine Hetaire halten und sie auch so behandeln, doch es konnte auch noch Schlimmeres geschehen. Unter dem Himation verborgen trug sie einen kleinen Dolch, doch machte sie sich keine Illusionen. Die zierliche Waffe würde in den meisten Fällen nicht ausreichen, um sich gegen Zudringlichkeiten zu erwehren.
So verließ Samu das Haus des Elagabal. Dem Torsklaven erklärte sie, sie wolle noch auf den Markt, um für das Nachtmahl einzukaufen. Doch statt in Richtung des Hafens zu gehen, schlug sie einen Weg ein, der sie zu dem Stadttor brachte, das sich am Damm befand. Dort streifte sie ziellos durch die Gassen, betrachtete die Auslagen der kleinen Läden und aß in einer kleinen Taberna einen gegrillten Fisch. Erst als das Horusauge im Westen im Meer versunken war und die Stadt in graues Zwielicht getaucht wurde, wagte sie es, sich auf den Weg zum Hafen zu machen. Samu hatte sich geschworen, Tyros nicht ohne einen Beweis für die Verbrechen Elagabals zu verlassen. Sie erinnerte sich noch genau an das Abendessen an jenem Tag, an dem sie sich zum ersten Mal getroffen hatten, und daran, wie der Kaufmann damals erzählte, sein Kapitän Oiagros sei erst vor wenigen Tagen aus Ephesos zurückgekehrt. Seitdem hatte sie von keinem anderen tyrenischen Schiff gehört, das in der fraglichen Zeit nach Ephesos gesegelt war. Auch die Andeutungen, die Elagabal über Berenike gemacht hatte, sprachen dafür, daß er
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