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Der Tempelmord

Der Tempelmord

Titel: Der Tempelmord Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernhard Hennen
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Augenblicken die Schleier vor dem Horusauge zerreißen, so daß man schon von weitem die Leiter sehen konnte, die an der Vorderfront des Lagerhauses lehnte. Sie mußte verschwinden! Wenn Samu sie einfach umstieß und sich keine Möglichkeit fand, die Tore des Lagers von innen zu öffnen, dann wäre sie gefangen. Sie konnte es sich nicht leisten, auf die Leiter zu verzichten! Es blieb ihr keine andere Wahl, als sie hinaufzuziehen. Wieder fluchte sie leise vor sich hin und wünschte sich Philippos an ihrer Seite. Seit ihrer Begegnung im Hafen hatte sie den Griechen nicht mehr gesehen und hatte es auch nicht gewagt, nach ihm zu fragen, um seine Sicherheit nicht zu gefährden. Wahrscheinlich lag er wieder in den Armen einer Frau! Bevor sie die Stadt verließ, sollte sie bei Simon eine Nachricht für den Arzt hinterlassen. Dem Griechen würde der römische Stadtkommandant eher glauben als ihr.
    Als Samu es geschafft hatte, die Leiter durch das Giebelfenster zu ziehen, ließ sie sich erschöpft auf den Boden des Lagerhauses sinken. Sie war jetzt in Sicherheit und hatte viele Stunden Zeit, um nach den Dokumenten zu suchen, mit denen sie die Verstrickung Elagabals in den Giftanschlag auf Ptolemaios nachweisen konnte.
    Eine Weile lag sie einfach still und sah den ziehenden Wolken zu. Ein breiter Streifen silbernen Lichtes fiel durch das große Giebelfenster. Mit einem stummen Gebet dankte sie Horus, daß er sein silbernes Auge so lange bedeckt gehalten hatte. Dann überzeugte sich die Priesterin mit einem kurzen Blick auf die Kais davon, daß niemand auf sie aufmerksam geworden war.
    Der Hafen war ruhig. Hier und dort konnte man einzelne Gestalten auf den Docks beobachten, doch niemand schien sich um das Lagerhaus zu kümmern. Erleichtert wandte Samu sich ab und stieg die Treppe hinab, die vom Dachboden zur Lagerhalle führte.
    Dort unten im fensterlosen Speicher war es so dunkel, daß Samu sich mit ausgestreckten Armen vorwärts tasten mußte.
    Sie wußte, daß es am hinteren Ende des Lagers eine schmale Pforte gab, die zu dem Gewölbebau führte, in dem Elagabal sein Archiv untergebracht hatte und in dem tagsüber seine Schreiber arbeiteten. Vorsichtig tastete sie sich durch die Dunkelheit.
    Eine Ewigkeit schien zu vergehen, bis Samus Finger endlich über die rissige Holztür glitten, die den Anbau vom Lager trennte. Sie fand den hölzernen Sperriegel und schob ihn zurück. Der Geruch von feuchtem Lehm und kaltem Rauch schlugen ihr entgegen, als sie über die Schwelle trat. Von der Feuerstelle, die in einer der Wandnischen des hohen Gewölbes lag, ging ein schwaches Glimmen aus. Samu wußte, daß Elagabals Schreiber jeweils am Ende des Tages die neuen Tontäfelchen, die sie angefertigt hatten, unter die Glut der schwelenden Feuerstelle schoben, um sie bis zum nächsten Morgen zu brennen und haltbar zu machen.
    Im schwachen, rötlichen Licht konnte Samu die Umrisse einer Öllampe auf einem der Tische nahe der Feuerstelle erkennen. Sie nahm die Lampe, blies die Glut über den Tontafeln an und entzündete daran dann den Docht. Mit der Lampe in der Hand machte sie sich daran, das Archiv zu untersuchen.
    Es gab vier Tische, auf denen sich Dokumente aus Papyrus und Pergament stapelten. Die wichtigsten Daten davon wurden übernommen und auf Tontafeln übertragen.
    Ziellos begann die Priesterin zwischen den Dokumenten herumzusuchen. Das einzige System, das sie entdecken konnte, bestand darin, daß die Schriftstücke nach Sprachen sortiert worden waren und jeweils nur Unterlagen derselben Sprachgruppe auf einem Tisch lagen. So gab es Listen in Latein, Griechisch, Aramäisch und noch einer weiteren Sprache, deren Schriftzeichen die Priesterin nicht kannte. Die Informationen über die Fracht des Schiffes, das nach Ephesos gesegelt war, würde sie am wahrscheinlichsten unter den aramäischen Dokumenten finden, überlegte Samu, denn dies war die am weitesten verbreitete Sprache in Tyros und an der syrischen Küste. Möglicherweise waren sie aber auch in Griechisch abgefaßt. So machte sie sich daran, im gelben Licht der Öllampe Dokumente über Hafengebühren, Preislisten für Handelswaren und Berichte der Schiffskapitäne über den jeweiligen Verlauf der Reisen und etwaige Zwischenfälle zu studieren.
    Die Priesterin hatte sich gerade erfolglos durch die aramäischen Texte durchgearbeitet und auch schon die Hälfte der griechischen Schriftstücke eingesehen, als ein Geräusch am großen Tor des Lagerhauses sie aufhorchen ließ. Wer

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