Der Teratologe (German Edition)
folgen.
»Wie ist Farrington denn so? Ist es angenehm, für diesen Typen zu arbeiten?«
»Diese Frage kann ich Ihnen bedauerlicherweise aus Gründen der Diskretion nicht beantworten. Das müssen Sie schon selbst herausfinden.«
»Meinen Sie das ernst?« Bryant zog missbilligend eine Augenbraue hoch.
»Allerdings. Ich habe eine entsprechende Klausel im Vertrag.«
»Sie dürfen mir also rein gar nichts erzählen?«
»Tja, ich kann Ihnen nur sagen, dass es nichts bringt, ihm irgendwelche Anlagegeheimnisse zu entlocken. Damit würden Sie nur Ihre Zeit verschwenden. Farringtons Talent, mit Geld zu jonglieren, ist eine Art Inselbegabung.«
»Jedenfalls verdient man normalerweise keine 300 Millionen Dollar in seinem ersten Jahr auf dem Parkett und verdoppelt den Profit dann in jedem weiteren, ohne den globalen Markt ziemlich gut zu durchschauen.«
»Yep. Aber sagen Sie später nicht, ich hätte Sie nicht gewarnt. Mr. Farrington fällt seine Entscheidungen in den meisten Fällen aus dem Bauch heraus. Es ist so ähnlich wie bei einem guten Tennisspieler. Er hat es einfach im Gefühl, wo er hinlaufen muss, um den Ball nach dem nächsten Schlag zu erreichen. Also begibt er sich rechtzeitig in die richtige Position und profitiert davon.«
»Das klingt mir jetzt eindeutig zu einfach. Immerhin reden wir von siebenstelligen Beträgen, die durch ein kompliziertes Geflecht aus weltweiten Zahlungsflüssen bewegt werden. Da muss dann doch mehr dahinterstecken, als zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein.«
»Tja, man merkt, dass Sie Mr. Farrington nicht kennen. Und das wird nach Ihrem Gespräch kaum anders sein.«
»Warten Sie einen Moment! Eine Sekunde!« Westmore meldete sich mit erhobener Stimme zu Wort. »Wollen Sie damit etwa sagen, dass wir überhaupt nichts aus Ihrem Boss herauskitzeln werden? Glauben Sie, wir sind den ganzen Weg hierhergekommen, um ein langweiliges, substanzloses Interview zu führen, dass unser Chefredakteur in den Müll pfeffert, sobald er es zu lesen bekommt?«
»Sie werden vielleicht nicht das Interview bekommen, dass Sie sich erhofft haben, aber ich versichere Ihnen, es wird weder langweilig noch substanzlos sein«, antwortete Michaels. Die Art, wie er dabei grinste, verursachte in Westmore ein Gefühl, als hätte sich seine Hautoberfläche bereitwillig angehoben, damit ein eiskalter Luftzug darunter hinwegstreichen konnte.
Sie legten den Rest der Fahrt zum Anwesen von Farrington schweigend zurück. Das Grinsen von Michaels hing während der ganzen Zeit wie festgetackert in seinem Gesicht.
(II)
Farrington kletterte aus dem Pool, stand nackt auf den Marmorfliesen und beobachtete, wie das Wasser von seinem schlanken, athletischen Körper abperlte. Wie für so vieles in seinem Leben musste er sich auch dafür nicht sonderlich anstrengen. Er besaß den Stoffwechsel eines Teenagers. Die chlorhaltigen Tropfen folgten den Konturen seiner perfekt definierten Brustmuskulatur und rannen über die ebenso wohlgeformten Oberschenkel auf den Boden. Er beugte sich nach vorne, wobei sich sein Sixpack so mustergültig abzeichnete wie auf den anatomischen Postern in den Untersuchungszimmern von Ärzten und Krankenhäusern.
John Farrington war ein gut aussehender Mann und daraus machte er keinen Hehl. Auf den ersten Blick ein makelloses Beispiel für Gottes Perfektion. Doch nicht immer nahm es Gott mit der Perfektion so genau. Betty lächelte ihn an. Ihre strahlenden diamantblauen Augen funkelten aus einem tragisch formvollendeten Gesicht, das einen monströs verunstalteten Körper auf perverse Weise komplettierte. Er beobachtete, wie das korpulente menschliche Ding ohne Arme und Beine unter die Wasseroberfläche abtauchte. Betty war die physische Antithese von Farrington. Ein lebendiges Mahnmal, was passieren konnte, wenn Gott einen schlechten Tag erwischte.
Anders als viele schwer missgebildete Menschen, die ohne jegliche geistige Stimulation zum Verrotten in Krankenhäuser abgeschoben wurden, sodass sich ihre Gehirne unaufhaltsam in Haferbrei verwandelten, war Betty ein Genie und zugleich Farringtons Geheimwaffe in der Welt der Ökonomie. Ein gewaltiger Intellekt, eingesperrt in einen nahezu nutzlosen, überfüllten Fleischsack.
Der junge Milliardär hockte sich an den Rand des Pools und beobachtete, wie die grotesk deformierte Walrossfrau, die er vor dem Schicksal bewahrt hatte, bis zu ihrem Tod Abend für Abend in einer russischen Kuriositätenshow aufzutreten, ihren Leib wellenförmig auf ihn
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