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Der Teufel in Thannsüß (German Edition)

Der Teufel in Thannsüß (German Edition)

Titel: Der Teufel in Thannsüß (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rupert Mattgey
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Sicherheit und Erlösung. Seine Finger ertasteten einen Riss im Eis und gruben sich gierig hinein. Er sammelte seine letzten Kraftreserven und zog sich ächzend voran. Hinter ihm brach der Teil des Vorsprungs ab, der ihm eben noch Halt gegeben hatte, und plötzlich strampelten seine Füße über dem Abgrund. Die Leere zerrte an ihm. Er zog die Füße an und presste sie gegen die Spaltenwand. Sie fanden eine Vertiefung, und er stemmte sich dagegen und schob seinen Körper das letzte Stück des Vorsprungs hinauf. Endlich war das Seil wieder in Reichweite. Er packte es mit seiner rechten Hand und wickelte es sich zweimal um den Arm. Er zog sich ein Stück höher und schloss beide Hände um das Seil. Ein heftiger Ruck ging durch die Wand, als die Überreste des Vorsprungs sich lösten und ächzend in die Tiefe stürzten.
    Plötzlich war der Boden unter ihm verschwunden. Ein heftiger Ruck ging durch seinen Körper, als das Seil seinen Sturz bremste. Er prallte gegen die Wand des Grabens. Dann hing er mit geschlossenen Augen über dem Abgrund und presste den Kopf gegen das Eis. Er hielt das Seil so fest umklammert, dass er seine Hände nicht mehr spürte. Er stemmte seine Beine gegen die Wand und zog sich keuchend höher. Dann verkeilte er seine Füße über einem der Knoten, die das Seil in regelmäßigen Abständen durchzogen, und entlastete dadurch seine Arme. Er schob sich nach oben, bis seine zitternden, gefühllosen Hände den nächsten Knoten ertasteten. Dann zog er seinen Körper nach, bis seine Füße einen höhergelegenen Knoten fanden. Als er sich schließlich über den Rand des Grabens zog, blieb er reglos auf dem Eis liegen, bis das Tosen des Blutes in seinen Ohren langsam nachließ. Seine Hände zitterten wie die eines alten Mannes. Als er schließlich die Kraft dazu fand, richtete er sich auf und sah sich langsam um. Er war allein auf dem Rücken des Gletschers.

Kapitel 26
     
    Er schlug denselben Weg ins Tal ein, den Xaver Wrede und er beim Aufstieg genommen hatten. Er hatte seine Schneeschuhe verloren. Bei jedem Schritt sank er tief in den aufgeweichten Schnee ein.
    Er hielt nach Spuren ihres Aufstiegs Ausschau, aber er fand keine. Die Sonne hatte sie vom Rücken des Gletschers getilgt. Schwerfällig stapfte er durch den Schnee, stolperte den Hang hinunter, ohne wirklich zu wissen, in welcher Richtung das Dorf lag. Aber unter ihm auf der Ebene, viele Kilometer entfernt, tauchten die Spitzen der ersten Tannenbäume auf. Dort war kein Eis. Dort war es warm. Und dieses Wissen genügte ihm.
    Er taumelte mit ungelenken Bewegungen vorwärts. Wenn er hinfiel, rappelte er sich wieder auf und setzte seinen Weg fort. Die Sonne in seinem Rücken wärmte ihn, aber sie vermochte seine feuchte Kleidung nicht zu trocknen. Das Eis reflektierte und verstärkte ihre Strahlen, und langsam löste sich das Land in einer allumfassenden weißen Weite auf. Manchmal blieb er stehen und schloss die Augen, bis das weiße Rauschen in seinem Kopf nachließ.
    Er durchquerte den Wald aus Eisbäumen und erreichte nach einer Weile den Eiskanal. Er blickte weder nach rechts noch nach links. Er interessierte sich nicht mehr für die Schönheit, die der Gletscher ihm darbot wie ein verschwenderisches Festmahl. Er hatte erlebt, was der Gletscher unter seinen schillernden Gewändern aus Eis und Licht verbarg, und er wollte nichts davon. Er hielt den Blick auf den Boden geheftet, um Risse und Spalten im Eis rechtzeitig erkennen zu können. Aber das Licht des Tages schwand bereits, und der Schatten seines Körpers auf dem Eis wurde mit jedem Schritt länger. Hinter ihm setzte die tief stehende Sonne den Gletscher in Brand.
    Als er aus der Eisgasse trat, war die Sonne hinter dem Gipfel des Großen Kirchners verschwunden. Sein Mantel wurde kalt und starr, als die Temperatur innerhalb weniger Minuten unter null sank und der feuchte Stoff gefror. Die Dämmerung verweilte nur kurz. Das Licht floh vom Gletscher und ließ nichts als Dunkelheit zurück. Das Eis glänzte trügerisch im Schein der Sterne. Der Schnee klebte feucht und schwer an seinen Schuhen. Eine ungeheure Müdigkeit war über ihn gekommen, und er wankte über den Gletscher wie ein Schlafwandler. Sein Kopf neigte sich schwer nach vorne. Sein Blick kroch träge über den Boden, schwankte im Rhythmus seiner Schritte hin und her. Er setzte einen Fuß vor den anderen, immer einen Fuß vor den anderen. Ihm war kalt. Er kannte den Weg nicht. Er hatte sich verirrt.
     
    Er wusste nicht, wie

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