Der Teufel in Thannsüß (German Edition)
Lichtung. Die Sterne schütteten ihr blasses Leuchten darüber aus wie glänzenden Mehltau. Am anderen Ende der Lichtung zeichnete sich der schwarze Umriss eines Hauses ab. Erneut keimte Hoffnung in ihm auf. Erik stolperte durch das kniehohe Gras auf das Haus zu. Als das Gebäude an Konturen gewann, sah er, dass es sich um eine kleine Blockhütte handelte. Zwei dunkle Fenster starrten ihm entgegen wie schwarze Augenhöhlen. Das Dach der Hütte war moosbewachsen und an einer Stelle eingesunken. Erik erklomm die Stufen vor der Eingangstür, lehnte seinen Kopf an das raue Holz und klopfte kraftlos an. „Hallo?“
Er drückte die Klinke hinunter und stemmte sich gegen die Tür, doch sie öffnete sich nicht. Er hämmerte mit der Faust dagegen. „Ich brauche Hilfe“, sagte er, aber die Worte kamen so leise über seine aufgerissenen Lippen, dass sie im Rauschen des Waldes untergingen. „Hilfe!“, flüsterte er. Er stand zitternd und mit hängenden Schultern in der Dunkelheit. Du wirst hier draußen sterben , dachte er.
Er trat schwankend einen Schritt zurück.
Dann sammelte er seine verbliebenen Kräfte und trat mit dem Fuß gegen die Tür. Etwas in ihrem Inneren barst mit einem krachenden Geräusch. Die Tür schwang auf und prallte gegen die Innenwand der Hütte. Erik stürzte hinein und fiel zu Boden. Für einen Moment blieb er einfach liegen, spürte das Schlagen seines Herzens gegen die Holzdielen und atmete den Geruch von Alter, Moder und Staub ein. Dann wälzte er sich auf den Rücken und trat die Eingangstür mit den Füßen ins zertrümmerte Schloss.
Er fand eine Petroleumlampe und entzündete den Docht mit seinem Feuerzeug. Seine Hände zitterten so sehr, dass er dafür mehrere Minuten brauchte. Schließlich füllte das weiche Licht der Petroleumlampe das Innere der Hütte. In einer Ecke stand ein Holztisch mit zwei Stühlen, daneben ein schlichtes Bett. Die Matratze war durchgelegen und fleckig. An einem Holzgestell hingen einige Felle. Daneben stand ein Regal mit Einmachgläsern, Konserven, Trockenfleisch und einigen Werkzeugen.
Zwischen dem Regal und dem Bett entdeckte Erik einen Ofen und einen Korb mit Holzscheiten. Er kniete sich vor den Ofen und schob mit klammen Händen einige Scheite in die Öffnung. Er schüttete Petroleum über das Holz und entzündete die Scheite mit seinem Feuerzeug. Nach und nach leckten die Flammen höher. Er zog seinen am Rücken noch immer gefrorenen Mantel aus, danach die klamme Kleidung darunter. Er saß vor dem Ofen, bis die Wärme in seinen Körper zurückgekehrt war. Das Flackern der Flammen füllte seinen Kopf. Er betrachtete seine Arme und Beine, seinen Rumpf und jede Stelle, die er sehen konnte. Alles war zerschunden und blau und fleckig. Schließlich legte er sich auf die kalte Matratze, und als er erwachte, wusste er nicht, ob es noch immer dunkel war oder ob er bis zur Nacht des nächsten Tages durchgeschlafen hatte.
Kapitel 27
In der Dunkelheit stand er auf und zog sich an. Er öffnete eine Konservendose, aß den matschigen Eintopf und trank eine Flasche Bier dazu. Danach fühlte er sich besser. Er hinterließ eine Nachricht auf dem Tisch, in der er sich für sein Eindringen entschuldigte. Dann verließ er die Hütte und folgte der Gletscherzunge talwärts. Die Lampe erhellte seinen Weg. Nach einer Weile hörte er das Rauschen des Schmelzwasserflusses.
Schließlich lichtete sich der Wald. Erik betrat die Gletschermoräne. Er hatte den Ort erreicht, an dem er seinen Aufstieg auf den Grimboldgletscher gemeinsam mit Xaver Wrede begonnen hatte. Er überquerte den Schmelzwasserfluss an einer seichten Stelle, lief über das Geröllfeld und tauchte auf der anderen Seite in den dunklen Tann ein. Eine halbe Stunde später erreichte er Benedikts Hof. Dann war er auf der Hauptstraße von Thannsüß, und der Mond, der jetzt hoch am Himmel stand, tauchte seinen Weg in blasses Licht. Die Lampe in seiner ausgestreckten Hand tanzte auf und ab wie ein Irrlicht. Die Hoffnung auf die Wärme des Gästehauses war das Einzige, was ihn noch aufrecht hielt.
Als er den Pfarrhof endlich erreichte, umrundete er den schwarzen Fleck, der im Mondlicht glänzte wie eine offene, entzündete Wunde. Aus den Fenstern des Pfarrhauses fiel gelbes Licht auf den Hof. Gedämpfte Stimmen drangen aus dem Inneren. Er kümmerte sich nicht darum. Vor dem Gästehaus blieb er kurz stehen und schloss die Augen. Er stützte sich am Türrahmen ab. Du bist in Sicherheit , dachte er. Du bist zuhause.
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