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Der Teufel in Thannsüß (German Edition)

Der Teufel in Thannsüß (German Edition)

Titel: Der Teufel in Thannsüß (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rupert Mattgey
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tausendfach gefächert reflektierten wie geschliffene Diamanten. Er sah das Wasser daran herunterrinnen, sah wie die Tropfen sich lösten und schillernd zu Boden fielen. Noch während er hinsah, schien die Zahl der Tropfen sich zu vervielfältigen. Etwas rauschte durch die Luft, und plötzlich bohrte sich wenige Zentimeter von seiner linken Hand entfernt ein riesiger Eiszapfen in den Boden. Ein Knirschen ertönte, als die Spitze ins Eis einschlug. Der Zapfen blieb aufrecht stehen. Er war mindestens einen Meter lang und am Sockel einen halben Meter breit. Erik verharrte bewegungslos und ließ seinen Blick hinauf zum Rand der Spalte wandern.
    Die Eiszapfen schmolzen in der Mittagssonne, und die Schneewechte, an der sie hingen, schmolz mit ihnen. Zum Geräusch der fallenden Tropfen hatte sich ein hundertfaches Knacken und Knistern gesellt. Einige kleinere Eiszapfen lösten sich vom Überhang und schlugen rings um ihn im Boden ein. Erik warf sich zur Seite. Er spürte Panik in sich aufsteigen. Plötzlich hörte er ein lautes Krachen. Ein zwei Meter langer Stalaktit brach von der Schneewechte los. Auf halbem Wege zum Boden drehte er sich in der Luft. Er schlug mit dem Sockel zuerst auf dem Vorsprung auf und zerbarst in tausend Splitter. Die Wucht des Aufpralls sprengte einen Teil des Vorsprungs ab. Nur wenige Meter von Erik entfernt klaffte plötzlich ein riesiges Loch in seiner rettenden Insel aus Eis. Ein Zittern durchlief den Vorsprung und pflanzte sich durch die Wand bis hinauf zum Rand des Grabens fort. Mit einem Mal regneten Hunderte Eiszapfen auf Erik hinab. Er hielt sich schützend die Hände über den Kopf. Die Eiszapfen hämmerten auf seinen Rücken ein und schlugen rings um ihn herum ins Eis ein wie Gewehrsalven. Winzige Eispartikel wurden durch die Luft geschleudert und trafen sein Gesicht. Er kroch zur Wand des Grabens, drückte sich mit dem Rücken in eine Nische und zog seine Beine dicht an seinen Körper. Mit den Händen tastete er nach dem Seil. Um ihn herum schlugen die Eiszapfen auf dem Vorsprung ein, als tobte am Himmel ein Hagelsturm.
    „Helft mir!“, brüllte er.
    Warum helfen sie dir nicht? , dachte er verzweifelt. Wo sind sie? Wo ist Xaver Wrede?
    Stöhnend erhob er sich und lehnte sich an die Wand des Gletschers. Ich schaff das nicht , dachte er. Ich habe keine Kraft mehr.
    Mit einem Mal ebbte der Lärm des splitternden Eises ab. Stille senkte sich über den Graben. Erik ließ seine Augen über den Vorsprung wandern. Der Boden war übersät mit Eissplittern. Einige der größeren Zapfen hatten Stücke aus dem Vorsprung gerissen. Als Erik den Kopf hob, war die Schneewechte über ihm fast völlig verschwunden. Nur an einer Stelle ragte noch ein Stück davon über den Rand des Grabens hinaus. Ein riesiger Eiszapfen hing daran wie ein monströser, mit Licht vollgesogener Blutegel. Und noch während Erik ihn betrachtete, hörte er ein Ächzen und Krachen, das ihm durch Mark und Bein ging. Dann stürzte der Eiszapfen mitsamt den Überresten der Schneewechte in die Tiefe. Der Aufschlag brachte den Boden zum Beben. Der Stalaktit riss die gesamte hintere Hälfte des Vorsprungs mit sich in den Abgrund. Der Vorsprung neigte sich, während immer mehr Stücke von ihm abbrachen. Erik stürzte aufs Eis und rutschte auf die Abbruchkante zu. Er streckte sich verzweifelt nach dem Seil, seine Fingerspitzen berührten den Knoten, und dann griff er ins Leere. Innerhalb eines Augenblicks war er außer Reichweite gerutscht. Er schrie auf und krallte seine Finger ins Eis, doch mit den unförmigen Handschuhen fand er keinen Halt. Er riss sich die Handschuhe mit den Zähnen von den Händen. Große Eisbrocken lösten sich hinter ihm aus dem Vorsprung und stürzten donnernd in die Tiefe. Der Vorsprung neigte sich wie ein sinkendes Schiff. Erik schlitterte rückwärts auf die Bruchstelle zu. Er stemmte seine Füße in den Boden, und endlich fand er einen Tritt, der sein Gewicht halten konnte. Er krallte die nackten Finger ins Eis und kämpfte verzweifelt gegen die Gewalt des Gletschers an. Zentimeter für Zentimeter zog er sich höher. Er spürte die Erschütterungen, wenn krachend Teile des Vorsprungs abbrachen und unter ihm verschwanden. Nahe der Wand fand sein rechter Fuß neuen Halt, und er stemmte sein gesamtes Gewicht dagegen und schob sich einen halben Meter weit nach oben. Zwei Armeslängen entfernt hing dunkel und glänzend das rettende Seil an der Wand des Grabens wie eine schwarze Schlange. Es versprach

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