Der Teufel in Thannsüß (German Edition)
Und du bist immer noch am Leben.
Eine Welle der Erleichterung brandete über ihn hinweg. Mit zitternden Händen zog er die Tür auf und trat ein. Dann blieb er wie angewurzelt stehen.
Im Gästehaus brannte Licht. Seine Kleidung war über den Boden verstreut. Inmitten des Chaos kniete Anna, die Wirtschafterin. Sie durchwühlte die wenigen Habseligkeiten, die Erik mit nach Thannsüß gebracht hatte. Sie musste das Quietschen der Eingangstür gehört haben, denn sie drehte sich langsam zu ihm um. Ihre Züge erstarrten. Die Farbe wich so schnell aus ihrem Gesicht wie ein Schwall Wasser, der an einer Fensterscheibe herunterläuft. Sie starrte ihn an, und in ihren Augen lag ungläubiges Entsetzen. Ihre Lippen bewegten sich lautlos. Sie stieß ein Wimmern aus und kroch rückwärts von ihm weg.
„Was machen Sie hier?“, fragte er heiser. Seine Eingeweide zogen sich zu einem pochenden Klumpen zusammen.
Annas Hände krampften sich ineinander. Sie schloss die Augen und senkte den Kopf, so als wollte sie Erik aus ihrem Blickfeld verbannen. Noch immer öffnete und schloss sich ihr Mund wie ein Fischmaul. Kein Laut kam über ihre Lippen. Erik registrierte verwirrt, dass sie betete. Das Ziehen in seinen Eingeweiden nahm zu. „Anna, was machen Sie hier? Was machen Sie mit meinen Sachen?“
Sie reagierte nicht, und plötzlich fühlte er brodelnden Zorn in sich aufsteigen. „Anna!“, schrie er.
„Geh weg“, flüsterte sie. „Geh weg, du bist hier nicht willkommen. Dies ist ein frommes Haus, der Boden ist heilig. Geh weg!“
Er trat einige schnelle Schritte auf sie zu. Sie hob abwehrend die Hände. Er packte sie am Arm. Sie schlug die Augen auf. Ihr glasiger Blick klärte sich, als würde ihr Bewusstsein aus weiter Ferne zurückkommen. Ihre Hand fuhr tastend über seinen Arm, so als wollte sie sich überzeugen, dass er wirklich da war.
„Sie sind am Leben“, sagte sie mit schwacher Stimme.
Er starrte ihr wütend in die Augen. „Was dachten Sie denn?“
Sie bekreuzigte sich mit einer zitternden Hand. „Sie sind am Leben“, wiederholte sie. „Wir haben uns solche Sorgen gemacht. Wir dachten schon, etwas Furchtbares sei Ihnen zugestoßen. Wir dachten, Sie seien tot.“
„Warum habt ihr dann nicht nach mir gesucht?“, fragte er mit bebender Stimme. „Warum habt ihr mir nicht geholfen?“
„Aber das haben wir! Wir haben doch nach Ihnen gesucht ...“
„Warum durchwühlen Sie meine Sachen?“
Sie wand sich aus seinem Griff. „Sie tun mir weh, Erik.“
„Antworten Sie mir!“
„Ich werde jetzt den Pfarrer holen. Er muss erfahren, dass Sie noch leben. Er ist ganz krank vor Sorge.“
„Sagen Sie mir zuerst, warum Sie in meinen Sachen herumschnüffeln.“
Sie wandte sich von ihm ab und ging auf die Tür zu.
„Anna, verdammt noch mal!“, schrie er.
Sie blieb stehen. „Ich habe etwas gesucht.“
„Das dachte ich mir schon.“ Erik konnte die Verachtung in seiner Stimme nicht verbergen.
„Ich werde jetzt den Pfarrer holen.“
„Was haben Sie gesucht? Sagen Sie es mir!“
Ihre Unterlippe zitterte. „Ihren Pass. Wir wollten Sie bei der Polizei in Bruch als vermisst melden.“ Sie lief nach draußen und verschwand in der Nacht.
Erik stand reglos im Zimmer, bis sein Zorn zu einem dumpfen Pochen in seinen Schläfen abgeklungen war. Dann stellte er die Lampe auf dem Tisch ab, zog seinen Mantel und die durchweichten Schuhe aus und setzte sich aufs Bett. Er blickte sich im Gästehaus um, das aussah, als hätte ein Sturm darin gewütet, und das Pochen in seinen Schläfen nahm erneut zu. Er zog die Schublade der Kommode auf, in der er den Knochen versteckt hatte, und schob seine Hand unter die Wäsche. In der hinteren rechten Ecke ertastete einen kleinen, harten Gegenstand. Der Knochen war noch da.
Er hob seine schmerzenden Beine aufs Bett, schichtete Kissen in seinem Rücken auf und lehnte sich dagegen. Er stöhnte leise. Sein Körper war mit Prellungen übersät, und die Risse, Schnitte und Schürfwunden in seiner Haut brannten. Er zog seine Uhr aus der Tasche. Sie war unversehrt. Als er sie aufklappte, starrte ihm Theodor Strauss stolz und kalt entgegen. Von draußen näherten sich Schritte und gedämpftes Stimmengemurmel.
Die Tür des Gästehauses schwang auf. Thomas Hellermann, Benedikt Angerer und Lothar Brant betraten den Raum. Ihre Mienen waren finster. Benedikt fluchte leise. Als Letzte kam Anna ins Zimmer und schloss die Tür hinter sich.
„Erik! Sie leben!“, rief Thomas Hellermann,
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