Der Teufel in Thannsüß (German Edition)
Bemerkung gestatten. Man sollte es kaum glauben, in einer so friedlichen Gegend. Ich hoffe, der andere Kerl sieht mindestens genauso schlimm aus.“
„Der andere Kerl war eine Frau “, sagte Gutenberg mit einem spöttischen Lächeln. „Und ich glaube, Herr Strauss hat sie verschont.“
„Sehr anständig von ihm.“
Erik verzog den Mund zu einem gequälten Lächeln.
Wagner musterte ihn. „Was ist mit Ihrem Ohr passiert?“
„Es fehlt ein Stück“, sagte Gutenberg. „Kein sehr großes.“
„Sie hat mich gebissen“, sagte Erik.
Wagner verzog das Gesicht. „Die Waffen einer Frau.“
Gutenberg legte Wagner eine Hand auf die Schulter. „Herr Strauss ließ es sich außerdem nicht nehmen, auf den Gletscher zu steigen. Er ist in eine Spalte gestürzt. Ein Großteil seiner Verletzungen ist darauf zurückzuführen.“
„Sie hatten eine harte Woche, was? “, fragte Wagner. „Was wollten Sie denn auf dem Gletscher?“
Erik seufzte. Er wünschte sich, Gutenberg und Wagner würden endlich das Thema wechseln. Zu seiner Erleichterung betrat Gutenbergs Frau Greta die Wohnstube. „Was steht ihr hier herum wie die Ölgötzen? Setzt euch doch. Das Essen ist gleich fertig.“
„Strauss und Wagner an einem Tisch“, sagte Wagner und ließ sich auf einen Stuhl sinken. „Wenn das kein Grund zum Feiern ist!“
Nach dem Essen begaben sich Doktor Gutenberg, Karl Wagner und Erik an den Kamin, wo sie ihre Unterhaltung fortsetzten. Wagner entpuppte sich als begnadeter Geschichtenerzähler, und unter der Kälte seines stechenden Blicks sah Erik immer öfter ein schelmisches Funkeln in seinen grauen Augen aufblitzen. Je weiter der Abend fortschritt, desto abenteuerlicher wurden Wagners Geschichten. Er erzählte von seinen Jahren als Dorfpolizist, und seine detaillierten Beschreibungen des Verbrechens auf dem Lande konnten vom einen Moment auf den anderen vom Alltäglichen ins Absurde, vom Ernsten ins Komische und vom Lächerlichen ins Tragische kippen.
„Glauben Sie dem Mann ruhig“, sagte Gutenberg lächelnd. „Mindestens die Hälfte von dem, was er sagt, ist wahr.“
Nachdem sie die zweite Flasche Wein entkorkt hatten, erzählte Wagner von seiner verstorbenen Frau, und Erik verfolgte erstaunt, wie die Kälte in seinen Augen schmolz wie Raureif in der Sonne. Zurück blieben Wärme und Verletzlichkeit, aber auch eine Herzlichkeit, die Erik ihm zuvor nicht zugetraut hätte.
Später standen sie auf, um nach Xaver Wrede zu sehen. Auf dem Weg in die Praxis erzählte Doktor Gutenberg Wagner in knappen Worten, was vorgefallen war.
„Wrede“, sagte Wagner nur. „Ich kenne den Mann.“
Die Schwester saß zusammengesunken auf ihrem Stuhl neben dem Bett. Als Gutenberg, Wagner und Erik den Ruheraum betraten, schreckte sie hoch. „Herr Doktor! Ich habe Sie gar nicht kommen hören.“
Gutenberg warf ihr einen säuerlichen Blick zu. „Wie geht es ihm?“
Sie stand hastig auf. „Besser“, sagte Sie. „Kommen Sie.“
Sie betraten das Behandlungszimmer. Xaver Wrede schlief. Ein dünner Schweißfilm bedeckte seine wächserne Haut. Er war noch immer leichenblass, aber die feurigen roten Flecken waren von seinem Gesicht verschwunden. Die Schwester versicherte, dass sie den Patienten erneut mit Eis abgerieben, die kalten Umschläge zweimal erneuert und Wredes Temperatur alle fünfzehn Minuten gemessen habe. Seit einer Stunde sei die Temperatur bei 39,5 Grad Celsius stehen geblieben.
Gutenberg befühlte die Umschläge und nickte. Dann maß er Wredes Temperatur. Er überprüfte Blutdruck und Puls. Er nahm den Verband ab, säuberte die Wunde und betrachtete lange den roten Striemen, der sich noch immer von der Wunde aus bis zum Oberarm erstreckte. Dann verband er Wredes Hand neu und verabreichte ihm eine zweite Ampulle Penicillin. Er nickte der Schwester zu. „Das haben Sie gut gemacht. Sie können jetzt nach Hause gehen.“
„Gute Nacht, Herr Doktor.“
„Gute Nacht.“
Die Schwester nickte ihnen zu und verließ das Zimmer.
„Sein Zustand ist stabil“, sagte Gutenberg. „Ich kann im Moment nicht mehr für ihn tun. Lassen wir ihn schlafen.“
„Wird er es überstehen?“
„Das sage ich Ihnen morgen Früh.“
Sie gingen zurück in die Wohnstube und machten es sich vor dem Kamin bequem. Gutenberg brachte eine Flasche Weinbrand, drei Gläser und eine Kiste Zigarren. „Meine Herren, bedienen Sie sich.“
Karl Wagner schenkte sich ein Glas Weinbrand ein, steckte sich eine Zigarre an und paffte
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