Der Teufel in Thannsüß (German Edition)
Arme zu nehmen und ihre Haut an seiner zu spüren, ihren Duft riechen und ihre Gegenwart fühlen zu dürfen. Er lächelte. „Du bist so wunderbar“, sagte er. Und er hörte nicht auf die Stimme in ihm, die ihn mahnte, sie solle nicht herkommen, die schrie, sie solle fortbleiben. Er drängte das Gefühl des bevorstehenden Unheils zurück, das sich in seiner Seele eingenistet hatte wie Spinnen in einem morschen Dachstuhl. Er sagte ihr nichts von den Dingen, die er herausgefunden hatte, und nichts von den Dingen, die er vermutete. Es waren finstere Dinge.
Später würde er sich dafür verfluchen.
Er sagte: „Ich liebe dich.“
Danach saßen sie vor dem Kamin, tranken Hennessy Weinbrand aus großen Cognacschwenkern und rauchten. Erik fühlte sich besser. Er hatte zwei Stunden geschlafen, und die Ruhe hatte ihm sehr gut getan.
„Haben Sie Schmerzen?“, fragte Doktor Gutenberg. „Ich kann Ihnen etwas geben.“
„Danke, es geht schon.“
Der Arzt nickte. Erik erzählte ihm von seinen ersten Wochen in Thannsüß, und dann kamen sie auf das große Fest bei Benedikt zu sprechen, zu dem der Arzt gerufen worden war, um Benedikts Frau Agathe zu helfen.
„Sie ist eine von ihnen, wussten Sie das?“
Erik sah ihn fragend an.
„Umgekehrte Katatonie, erinnern Sie sich?“ Gutenberg zog eine Augenbraue hoch.
„Ich erinnere mich“, sagte Erik. „Aber man erzählte mir, sie leide an den Folgen eines Schlaganfalls.“
Gutenberg ließ ein verächtliches kurzes Lachen hören. „Wer hat Ihnen das erzählt?“
„Der Pfarrer. Und Benedikt, wenn ich mich recht entsinne.“
„Aha. Ich frage mich, was die Ihnen sonst noch so alles erzählt haben.“ Er schwenkte den Weinbrand im Glas herum und schien ihn konzentriert zu betrachten. „Zum Pfarrer kann ich Ihnen nicht viel sagen. Er ist ein merkwürdiger alter Knabe, soviel ist sicher. Aber Ihr Herr Angerer ist ein streitbarer Charakter. Ich würde mich nicht mit ihm anlegen, wenn ich Sie wäre.“
„Habe ich nicht vor.“
Gutenberg leerte sein Glas und drückte die Zigarette im Aschenbecher aus. „Das ist gut. Lassen Sie uns jetzt eine Kleinigkeit essen. Sie müssen furchtbar hungrig sein. Wir unterhalten und später weiter.“ Er stand auf. „Übrigens wird ein alter Freund von mir uns beim Abendessen Gesellschaft leisten, ich hoffe, das stört Sie nicht.“
Gutenberg stellte Erik seine Frau vor. Ihr Name war Greta, und sie war sehr freundlich und lächelte die ganze Zeit über. Nur als ihr Blick auf Eriks verbundenes Ohr fiel, verrutschte ihr Lächeln für einen Moment. An diesem Abend ertappte Erik sich immer wieder dabei, dass seine Finger unbewusst den Verband betasteten und nach der Wunde darunter fühlten.
Sie setzten sich, und Gutenberg schenkte französischen Rotwein in die bereitstehenden Gläser. Greta fragte Erik, ob er sich gut in Thannsüß eingelebt habe, und er bejahte. Als das Gespräch auf seinen Sturz in die Gletscherspalte kam, lächelte er, obwohl die Erinnerung daran wie eine kalte Pflugschar durch seine Brust fuhr.
In diesem Moment läutete die Türglocke. Greta erhob sich und öffnete die Tür, und wenig später betrat ein älterer Herr die Wohnstube. Sein silbergraues Haar war kurz geschnitten. Über seiner Oberlippe befand sich ein millimetergenau gestutzter silberfarbener Schnurrbart. Er hatte ein strenges, aber nicht unfreundliches Gesicht. Sein Blick war aufmerksam und wirkte hellwach. Seine Augen streiften Erik und blieben kurz an ihm haften. Unter dem hellen Strahlen dieses Blicks fühlte Erik sich seltsam schutzlos.
Gutenberg stand auf, um den Gast in Empfang zu nehmen. „Karl“, sagte er nach einer freundschaftlichen Umarmung, „wie schön, dich zu sehen!“
„Die Freude ist ganz meinerseits.“
„Ich möchte dir einen neuen Bekannten von mir vorstellen. Das hier ist Erik Strauss. Er ist der neue Lehrer in Thannsüß. Herr Strauss, das hier ist mein guter Freund Karl Wagner, Polizeiobermeister der Gemeinde Bruch.“
„Im Ruhestand“, sagte Wagner. „Freut mich, Herr Strauss.“
Sie schüttelten sich die Hand. Wagners Griff war trocken und fest. Er sah Erik direkt in die Augen. Sein Blick war so durchdringend, dass Erik nach wenigen Sekunden beiseite sah.
„Thannsüß“, sagte Wagner. „Dort oben war ich seit Jahren nicht mehr. Muss eine friedliche Gegend sein.“
„Da bin ich mir noch nicht so sicher“, sagte Erik.
„Jemand hat Sie ganz schön übel zugerichtet, Herr Strauss, wenn Sie mir die
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