Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Teufel in Thannsüß (German Edition)

Der Teufel in Thannsüß (German Edition)

Titel: Der Teufel in Thannsüß (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rupert Mattgey
Vom Netzwerk:
Glühlampe. Er runzelte die Stirn, kam zurück zum Kamin und reichte den Knochen an Karl Wagner weiter. Dann setzte er sich in seinen Sessel und beobachtete Wagner, der den Knochen von al len Seiten in Augenschein nahm.
    „Was meinst du?“, fragte Gutenberg nach einer Weile.
    „Schwer zu sagen.“ Wagner legte den Knochen auf den Tisch. „Könnte alles sein. Du bist der Experte.“
    „ Aha. Der Experte ist sich nicht sicher“, sagte Gutenberg. „Es könnte ein Fingerknochen sein. Das oberste Glied. Es könnte aber auch etwas komplett anderes sein. Ein Tierknochen, vielleicht ein Teil eines Schwanzes.“ Er wandte sich Erik zu. „Herr Strauss, ich weiß nicht, ob Sie sich der Tatsache bewusst sind, dass es in dieser Gegend durchaus üblich ist, Schlachtabfälle zu Knochenmehl zu zermahlen und über die Felder zu streuen? Die sprichwörtliche Fruchtbarkeit der hiesigen Böden ist zu einem Großteil dieser alte Sitte geschuldet.“
    „Ich habe davon gehört“, sagte Erik leise.
    „Verstehen Sie mich nicht falsch. Ich kann Ihre Schlussfolgerung durchaus nachvollziehen. Ich denke aber auch, dass sie möglicherweise etwas übereilt gezogen wurde. Sie standen unter großem Stress. Aus dem Fund von Piels Ausweispapieren und dem zufälligerweise fast zeitgleich erfolgten Fund dieses Knochens auf ein perfides Verbrechen zu schließen, erscheint mir zumindest gewagt.“
    „Sicher haben Sie Recht“, murmelte Erik. Er fühlte sich erleichtert, weil der Arzt seine eigenen Zweifel bestätigt hatte. Auf der anderen Seite wünschte er, er hätte Gutenberg nie von Cornelius Piel erzählt, ihm nie die Adresse auf Piels Briefen genannt, ihm nie den Knochen ausgehändigt. Aber jetzt war es zu spät. Als er sein Glas zum Mund führte, zitterte seine Hand. Er trank hastig.
    „Natürlich werde ich den Knochen untersuchen“, sagte Gutenberg. „Und wenn ich zu keinem eindeutigen Ergebnis komme, schicke ich ihn zu einem Freund nach Passau. Er ist Chirurg und Sportmediziner. Er kennt sich aus mit Knochen.“
    „Was die Adresse angeht, die Sie auf den Briefen gefunden haben, so werde ich die entsprechenden Nachforschungen anstellen“, sagte Wagner. „Meine alten Verbindungen funktionieren noch immer ausgezeichnet.“
    „Sagen Sie mir eines, Herr Strauss.“ Gutenberg beugte sich nach vorn. „Sie klingen nicht gerade glücklich, verzeihen Sie meine Offenheit.“ Er rückte seine Brille zurecht. „Sie klingen verwirrt, verloren, verzweifelt, wie ein Mann am Rande eines Zusammenbruchs. Sie sind Lehrer, aber Sie haben in Thannsüß noch keine einzige Unterrichtsstunde gehalten. Ihre Frau und Ihr ungeborenes Kind sind nicht bei Ihnen, sondern weit weg, allein irgendwo in München. Also sagen Sie mir: Was zur Hölle hält Sie hier? Warum haben Sie nicht schon längst Ihre Koffer gepackt und sind zurück nach München gefahren?“
    Erik atmete tief durch. Er hatte sich diese Frage selbst schon mehrmals gestellt. Schulrat Obermeier und die Mission, die er ihm auferlegt hatte, waren nur ein Teil des Problems. Er wollte zurück nach München. Er wollte seinen Job zurück, an einer anderen Schule, aber in München, vielleicht sogar in seinem alten Viertel. Er wollte Sicherheit für Marie und sein Kind. Aber etwas, das tiefer ging als zu ergründen er in der Lage war, hielt ihn hier. In Thannsüß am Fuße des Gletschers. „Ich weiß es nicht“, flüsterte er. „Ich wünschte, ich könnte es Ihnen sagen.“ Aber in seinem Inneren meldete sich eine Stimme zu Wort, die etwas anderes behauptete. Etwas hält dich dort oben, das du dir nicht erklären kannst. Es ist stark. Es zerrt zu jeder Sekunde an dir, auch nachts, wenn du schläfst. Wie würdest du das nennen, das da zieht und reißt und sogar in deine Träume eindringt?
    Ich weiß es nicht.
    Er schüttelte den Kopf und legte sich eine Hand über die Augen.
    Doch, du weißt es. Man nennt es Hoffnung. Es ist die Hoffnung, nach all den Jahren etwas über das Schi cksal deines Vaters zu erfahren.
    Nein. Er war mir kein guter Vater.
    Sein Atem klang laut in seinem Kopf.
    Plötzlich die Erinnerung an seine Mutter: Er war ein guter Mensch, der seine schlechten Seiten hatte.
    Ich hasse ihn.
    Aber warum ist es dann dein größter Wunsch, ihm noch einmal gegenüberzutreten? Warum würdest du alles dafür geben, ihm alles erklären zu können? Warum möchtest du das Bild korrigieren? Was spielt es für eine Rolle, wo du ihn doch so sehr hasst? Warum fährst du nicht einfach zurück nach

Weitere Kostenlose Bücher