Der Teufel in Thannsüß (German Edition)
Sache.“
Aus der Wohnstube erklang die Stimme des Pfarrers. „Konrad!“
Konrad trat wiederwillig zur Seite. Er verzog höhnisch die Mundwinkel, als er Erik mit einer weit ausholenden Geste bedeutete einzutreten. Erik folgte dem gedämpften Lichtschein durch den Flur in die Wohnstube. Der Pfarrer erhob sich mühsam vom Sofa. Neben ihm stand Benedikt. Er starrte Erik unverwandt an. In seinen Augen schwelte unterdrückter Zorn.
„Erik“, sagte der Pfarrer. „Wie haben Sie es erfahren?“
„Was erfahren?“ Erik blieb stehen.
Der Pfarrer sah ihn überrascht an. „Sie wissen es nicht?“
„Was weiß ich nicht? Was ist hier los?“ Er ließ den Blick durchs Zimmer schweifen. „Wo ist Lothar?“
Der Pfarrer seufzte und ließ sich zurück aufs Sofa sinken. „Setzen Sie sich, Erik.“ Er klopfte mit der flachen Hand auf den freien Platz neben sich.
„Ich stehe lieber“, sagte Erik. Seine Stimme klang rau.
Er sah kurz über die Schulter zurück. Konrad stand neben dem Eingang zur Wohnstube und erwiderte seinen Blick emotionslos. Ein kaltes Kribbeln machte sich in Eriks Bauch breit.
„Es tut mir leid, Erik. Was ich Ihnen zu sagen habe, dürfte ein ziemlicher Schock für sie sein. Wir alle sind zutiefst erschüttert.“ Der Pfarrer fuhr sich mit der Hand über den Mund.
Noch bevor Thomas Hellermann die Worte sagte, wusste Erik, was kommen würde. „Lothar ist tot.“
Die Nachricht traf ihn wie ein Schlag in die Magengrube. Ein Kribbeln wanderte seine Arme hinauf und dann seinen Rücken hinab, ließ alles kalt und taub werden.
„Er hat sich gestern das Leben genommen“, fuhr der Pfarrer fort. „Wir haben keine Erklärung dafür. Er hat keinen Brief hinterlassen, keine Nachricht, nichts.“
„Lothar hat sich umgebracht?“ Erik streckte eine Hand aus, um sich an der Lehne des Sofas festzuhalten.
„Es fällt uns allen schwer, diese Tat zu begreifen.“
„Wie ist er gestorben?“
„Er hat sich erschossen.“
Erik rang um Atem. Die Luft im Zimmer kam ihm stickig und schwer vor. „Ich will ihn sehen“, flüsterte er.
„Wenn das Ihr Wunsch ist“, sagte der Pfarrer. „Wir haben ihn in der Küche aufgebahrt. Seine Familie ist jetzt bei ihm. Morgen wird er beerdigt.“
Erik ballte seine Hände zu Fäusten, um seine zitternden Finger zu verbergen. „Lothar hatte Familie?“
Der Pfarrer nickte langsam. „Ich nehme an, Sie haben sie niemals kennen gelernt.“
„Er hat sie nicht einmal erwähnt.“ Erik sah Thomas Hellermann lange an. Dann presste er die Zähne aufeinander, durchquerte die Wohnstube und ging auf die Küchentür zu. Er drehte am Knauf, und die Tür schwang mit einem leisen Quietschen auf.
„Gehen Sie nicht da rein, Erik“, sagte der Pfarrer leise.
Er achtete nicht auf ihn.
Lothar lag auf dem Küchentisch. Ein weißes Tuch war über seinen Körper gebreitet. Auf drei Stühlen am anderen Ende des Raums saßen Lothars Frau und seine beiden Töchter. Seine Frau hatte langes schwarzes Haar. Erik schätzte das Alter von Lothars Töchtern auf achtzehn oder neunzehn Jahre. Erik erkannte die Frau und die Mädchen wieder. Es war noch keine zwei Tage her, dass er sie gesehen hatte. Damals hatten sie in der Wohnstube gesessen, und Lothar hatte hastig die Tür geschlossen. „Mein Beileid“, sagte er heiser. Die Glühbirnen summten.
Sie saßen reglos auf ihren Stühlen und starrten ihn aus dunkel umwölkten Augen an. Ihre Blicke waren so leer, dass Eriks Magen sich zu einem harten Klumpen verkrampfte. „Es tut mir sehr leid um Ihren Mann“, sagte er etwas lauter und suchte den Blickkontakt mit Lothars Frau. Sie sah geradewegs durch ihn hindurch. Für einen Moment hatte er das Gefühl, gar nicht da zu sein. Ihn schwindelte, und er hielt sich mit beiden Händen am Tisch fest.
„Sehr leid“, echote Lothars Frau tonlos.
Erik sah auf Lothars Körper hinunter. Seine Konturen zeichneten sich unter dem weißen Tuch ab. Eriks Herz schlug hart und schnell in seinem Brustkorb. „Verzeihen Sie mein pietätloses Verhalten“, murmelte er. Er presste die Lippen zusammen und schlug das Tuch zurück.
Lothar lag auf dem Rücken. Seine Hände waren über der Brust gefaltet. Sein Mund stand offen. Geldstücke lagen auf seinen geschlossenen Augen. Seine Perücke lag neben ihm auf dem Tisch. Blutspritzer und winzige Knochensplitter hingen darin wie Tautropfen. Lothars Glatze glänzte im Schein des elektrischen Lichts. In seiner linken Schläfe befand sich ein kleines Loch, das von einem
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