Der Teufel in Thannsüß (German Edition)
Thannsüß nehme ich die Verantwortung für unsere gemeinsame Entscheidung auf mich. Ich weiß, dass ich dafür brennen werde. Wir alle werden brennen. Möge Gott unserer Seelen gnädig sein.
Lothar Brant, Bürgermeister von Tahnnsüß.“
Erik löse sich aus seiner Starre, stand ruckartig auf und zog sich an.
„Wo willst du hin?“ Marie blickte überrascht auf.
„Ich muss mit Lothar reden“ sagte er. „Du bleibst hier, Marie. Schließ die Tür ab.“
„Lothar? Ist das der Bürgermeister?“ Sie setzte sich auf.
„Ja.“ Erik schnaubte ein trockenes Lachen aus. „Der Bürgermeister.“
„Hat das nicht Zeit bis morgen?“
„Marie, es ist dringend.“ Er hielt inne und betrachtete seine Frau. Er überlegte, wie viel er ihr erzählen konnte. Er wollte sie nicht beunruhigen, und er wollte nicht, dass sie ihn für verrückt hielt. „Hier geschehen seltsame Dinge, Marie. Ich wünschte, ich könnte dir sagen, was vor sich geht, aber ich verstehe es selbst nicht.“
„Haben diese Dinge zufällig mit dem Flugzeug deines Vaters zu tun?“ In ihre Stimme hatte sich ein bitterer Unterton geschlichen.
„Ich weiß es nicht.“ Er knöpfte seinen Mantel zu. „Aber Lothar weiß es. Deshalb muss ich mit ihm reden.“ Er packte das Tagebuch in seine Umhängetasche.
„Was ist das für ein Buch?“, fragte Marie.
Erik wich ihrem Blick aus. „Ein Tagebuch.“
„Wessen Tagebuch?“
„Cornelius Piels Tagebuch.“
„Wer ist Cornelius Piel?“
„Ein junger Pfarrer.“ Erik schluckte. „Aber er ist tot.“
„Was?“
Erik trat ans Bett, setzte sich auf die Kante und nahm Marie in die Arme. „Genau darüber muss ich mit Lothar sprechen.“ Er küsste sie auf die Stirn. „Es wird nicht lange dauern.“
„Dieser Piel“, flüsterte sie. „Wie ist er gestorben?“
Erik erhob sich. „Ich muss jetzt gehen, Marie.“
Sie hielt seine Hand fest. „Wie ist er gestorben?“
„Jemand hat ihn umgebracht“, sagte er tonlos.
„Und wenn er dich auch umbringt?“
Erik schüttelte langsam den Kopf. „Das hätte er schon tausendmal tun können. Mach dir keine Sorgen.“ Er zwang ein Lächeln auf sein Gesicht. „Versuch ein bisschen zu schlafen. Ich bin bald wieder da.“ Er küsste Marie auf die Stirn. „Ich liebe dich“, flüsterte er.
„Erik ...“
Er wandte sich ab, durchquerte den Raum mit wenigen Schritten und zog die Eingangstür auf. Schneeflocken trudelten ins Zimmer, legten sich auf seinen Mantel, schmolzen auf dem Boden. Draußen fielen die Flocken so dicht, dass er den Zaun und das Gatter auf der anderen Seite des Pfarrhofs nicht erkennen konnte. Er nahm die Petroleumlampe vom Haken neben der Tür und entzündete den Docht. Die Flamme tauchte den Schnee vor dem Gästehaus in weiches Licht. „Vergiss nicht, die Tür abzuschließen“, sagte Erik. Dann ging er hinaus.
Der Schnee lag inzwischen so tief, dass er mit jedem Schritt bis zu den Knien darin versank. Als er am Haus des Bürgermeisters ankam, war er außer Atem. Die Fenster des Hauses waren dunkel, bis auf eines. Aus der Wohnstube fiel ein schwacher Lichtschein auf die verschneiten Büsche vor dem Haus. Erik öffnete das Gartentor. Zwischen dem Tor und der Eingangstür hatten zahlreiche Füße eine Schneise in den Schnee getrampelt. Lothar hatte heute Abend viele Besucher gehabt. Erik ging auf das Haus zu. Seine Schritte wurden langsamer. Er spürte ein Zögern in sich. Der Zweifel sank in seine Glieder wie geschmolzenes Blei.
Wem willst du vertrauen?
Keinem von ihnen , dachte er.
Aber Lothar ist auf deiner Seite. Er kann dir sagen, was hier passiert ist. Un d was noch immer hier passiert.
Kurz bevor er die Tür erreichte, blieb er stehen. Es gibt jetzt nur noch zwei Möglichkeiten , dachte er. Sprich mit Lothar. Oder verschwinde für immer von hier.
Er dachte an Cornelius Piel, dachte an die kleine mumifizierte Leiche in Gutenbergs Keller, an das Versprechen, das er dem Arzt und Karl Wagner gegeben hatte, dachte an das Flugzeug, das vielleicht irgendwo im Inneren des Gletschers auf ihn wartete. Er dachte an seinen Vater.
Erik hob die Hand und schlug mit der Faust gegen die Tür.
Als die Tür endlich aufschwang, stand im Türrahmen Konrad Kleinschmidt. Der Schmied musterte ihn feindselig. Erik trat einen Schritt zurück.
Konrad lächelte kalt. „ Strauss. Was wollen Sie hier?“
„Ich möchte zu Lothar.“
„Und was wollen Sie von ihm?“
„Mit ihm reden.“
„Worüber?“
„Das ist meine
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