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Der Teufel in Thannsüß (German Edition)

Der Teufel in Thannsüß (German Edition)

Titel: Der Teufel in Thannsüß (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rupert Mattgey
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Schnee lag mindestens einen Meter hoch. Im Zentrum der Lichtung erhob sich ein Hügel aus der weißen Fläche wie ein altertümliches Hünengrab. Darunter befand sich der Bretterverschlag. Erik hoffte inständig, dass sie nicht nur die Ziege dort vorfinden würden.
    Sie betraten die Lichtung und arbeiteten sich langsam durch den Tiefschnee vor. Der Schnee fiel so dicht, dass der Lichtkegel ihrer Lampe nach weniger als zwei Metern in einer wirbelnden weißen Wand aus Flocken endete. Die Schneeschuhe trugen sie, aber sie konnten nicht verhindern, dass sie mit jedem Schritt bis zu den Knöcheln im frischen Pulverschnee einsanken. Als sie den Hügel endlich erreicht hatten, ließen sie sich einfach zu Boden fallen und begannen mit den Händen zu graben. Sie arbeiteten schweigend und konzentriert. Ihr Atem bildete weiße Wolken in der Luft und zerstob in der Dunkelheit. Einmal hielt Erik plötzlich inne. Er glaubte, ein dunkles Knurren hinter sich zu hören. Gänsehaut rieselte über seinen Rücken wie Eiskristalle. Er drehte sich langsam um.
    Die Lichtung hinter ihnen war leer. Wo der Lichtkegel der Lampe endete, war nichts als Dunkelheit.
    „Haben Sie das gehört?“, rief Erik.
    Gutenberg stellte das Graben ein und sah ihn fragend an. „Was gehört?“
    Erik lauschte, doch nur der Wind heulte über die Lichtung. „Ich weiß nicht“, sagte er zögernd. „Eine Art … Knurren.“
    „Ich habe nichts gehört.“
    Dann gruben sie schnaufend weiter. In der Ferne durchstieß ein Blitz die Wolkendecke und löschte die Finsternis für einen Augenblick aus. Die Schneeflocken stoppten ihren Reigen, verharrten in ihrer Bewegung, als seien sie in ihrem Fall erstarrt. Dann erlosch der Blitz, das Dunkel kehrte zurück und die Flocken trudelten weiter zu Boden.
     
    Schließlich legten sie das Dach des Bretterverschlages frei.
    „Der Eingang ist hier vorne!“ Erik rang nach Luft.
    Gutenberg stemmte die Arme in die Seiten. „Aha“, keuchte er. „Aber ich denke, es geht schneller, wenn wir die Bretter vom Dach reißen. Das ist doch nur windig zusammengenagelt! Meine Großmutter hätte das besser hinbekommen, und sie weiß nicht, wie man einen Hammer richtig herum hält.“
    „Also dann“, sagte Erik. „Auf drei!“
    Die Nägel lösten sich quietschend aus dem Holz, als sie mit vereinten Kräften zwei Bretter aus dem Dach rissen. Erik legte sich auf den Bauch, hielt die Lampe über die Öffnung und spähte in den Verschlag. Ein warmer Geruch nach trockenem Heu und frischem Kot stieg ihm entgegen. Das Zicklein war verschwunden, aber im flackernden Lichtschein erkannte er ein kleines Bündel aus zusammengerollten Decken auf dem Boden des Verschlags. Er streckte den Arm aus, berührte das Bündel mit den Fingerspitzen und schob die Decken ein Stück weit auseinander. Dann lachte er laut auf. „Es ist hier!“, rief er. „Gutenberg, das Kind ist hier!“
    „Ist es am Leben?“
    „Ja!“, rief Erik. Er blickte in die beiden großen, blauen Augen, die ihn aus dem Inneren des Deckenbündels interessiert betrachteten. Das Lächeln, das Eriks Mundwinkel nach oben zog, schickte stechende Schmerzen durch seine zertrümmerte Nase.
    „Holen Sie es raus!“, drängte Gutenberg.
    Erik kroch näher heran. Er streckte beide Arme bis zu den Schultern durch das Loch im Dach. Endlich bekam er das in Decken gehüllte Kind zu fassen. Vorsichtig hob er es aus dem Bretterverschlag. Erik sah die lebendigen, geröteten Wangen des Kindes, den zahnlosen kleinen Mund, den dunklen Flaum auf seinem Kopf, und sein Herz schlug freudige Kapriolen in seiner Brust.
    „Geben Sie her“, sagte Gutenberg. „Ich bin der Arzt hier.“
    Ein Blitz zerriss die Dunkelheit über ihnen. Erik zögerte.
    „Keine Angst, Herr Strauss“, sagte Gutenberg sanft. „Ich werde es Ihnen nicht wegnehmen.“
    Erik reichte Gutenberg das Kind. Der Arzt untersuchte es flüchtig, während Erik die Lampe für ihn hielt. „Aha. Ein Junge, tatsächlich.“ Gutenberg lächelte. „Und kerngesund, würde ich sagen.“ Er stand auf und klopfte sich den Schnee von der Kleidung. „Hier, nehmen Sie ihn. Und jetzt lassen Sie uns in Dreiteufelsnamen von hier verschwinden!“
     
    Im schwankenden Licht ihrer Lampe liefen sie durch die Dunkelheit, so schnell ihre Schneeschuhe und die tobende Gewalt des Sturms es erlaubten. Erik hielt das Kind sicher und warm an sich gedrückt. Blitze rissen gleißende Spalten in den Himmel. Sie liefen schweigend und keuchend und konzentrierten sich auf

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