Der Teufel in Thannsüß (German Edition)
stocherte mit seinem Messer in der erkalteten Glut herum und verrenkte sich fast den Hals, als er versuchte, den Schornstein hinaufzublicken. Aber da war nichts. Falls Cornelius Piel jemals hier gewesen war, so hatte er keinerlei Hinweise auf seine Anwesenheit zurückgelassen. Oder man hat sie beseitigt, schoss es ihm durch den Kopf. Er ließ sich in einen Sessel fallen und lachte tonlos in sich hinein. Reiß dich zusammen, dachte er. Du wirst den Rest deines Lebens nicht hier oben am emporgereckten Arsch der Welt verbringen. Wenn es hier irgendwo Hinweise auf diesen Piel gibt, dann wirst du sie finden. Du wirst sie finden und Obermeier davon berichten, und dann gehst du schnurstracks zurück nach München. Scheiß auf Sankt Augustin. Scheiß auf dieses Kaff. Du wirst deinen Auftrag erfüllen, und dann gehst du zurück. Er stützte den Kopf in die Hände. Und wenn nicht?, dachte er. Was, wenn nicht?
Als er bemerkte, wie fest er die Armlehnen des alten Sessels umklammerte, lockerte er seinen Griff. Seine Finger strichen über das abgewetzte braune Polster. Seine rechte Hand hielt mit einem Mal inne. Seine Fingerspitzen hatten etwas Hartes unter dem Stoffbezug ertastet; etwas Hartes, wo nur Schaumstoff hätte sein sollen. Nachdenklich strich er über die Ausbeulung in der rechten Armlehne. Sie fühlte sich unnachgiebig an, wie Stein oder Metall. Er zögerte nur kurz. Dann fand seine Hand den kleinen, fast unsichtbaren Schlitz im Polster. Sein Arm verschwand bis zum Handgelenk in der Lehne, bis seine Fingerspitzen plötzlich einen kalten metallenen Gegenstand berührten. Er drang tiefer, bis seine Hand das Metallstück zu fassen bekam. Er packte es und zog es heraus.
Dann saß er für eine Weile reglos vor dem erloschenen Kamin. Sein Herz hämmerte plötzlich fester in seiner Brust, und hinter seiner Stirn ballten sich dunkle Wolken zusammen. In seiner rechten Hand lag, kalt glänzend im diffusen Licht, das durch die kleinen Fenster des Gästehauses fiel, eine Pistole.
Aber das war nicht das Schlimmste. Das Schlimmste waren die Initialen, die der ehemalige Besitzer in den Griff hatte gravieren lassen. Erik drehte die Pistole in seinen Händen hin und her, und die Initialen schienen ihm tief und dunkel wie die tiefsten Abgründe des Meeres. Er konnte die Waffe drehen und wenden so viel er wollte, die beiden Buchstaben blieben doch dieselben. Sie lauteten „CP“.
Blut rauschte laut in seinen Ohren. Das kann kein Zufall sein, dachte er. Unmöglich. Cornelius Piel war hier. Er war hier! CP. Cornelius Piel. Er war hier, und er hatte eine verdammte Pistole dabei.
Erik saß lange in dem alten Sessel und wog die Waffe in der Hand. Dann fällte er eine Entscheidung. Er steckte die Pistole ein, klappte seine Taschenuhr auf und sah, dass es bereits kurz vor elf war. Er betrachtete das Bild seines Vaters, das seine Mutter vor vielen Jahren aus einer Fotographie ausgeschnitten und in den Deckel der Uhr geklebt hatte. Es musste eine Ewigkeit her sein. Auf dem Bild sah sein Vater jung und gesund aus. Er trug seine Fliegeruniform und reckte den an den Rändern gezwirbelten Schnauzbart in die Luft, das Kinn vorgestreckt, die strengen Züge fest entschlossen, die Augen kühn. Wenn wir nur Gewissheit gehabt hätten, dachte Erik. Wenn wir gewusst hätten, wo du bist, und ob du lebst oder ob du tot bist. Vielleicht wäre sie noch am Leben. Alles wäre besser für uns gewesen als diese Ungewissheit.
Er klappte die Uhr zu. Dann verließ er das Gästehaus und lief über den Hof zum Pfarrhaus hinüber.
Erik öffnete die schwere Holztür und trat ein. Der Duft von frisch gebackenem Brot schlug ihm entgegen. Der Flur war dunkel. Rote Fliesen mit Blumenmuster bedeckten die Wände bis Schulterhöhe. Darüber waren die Wände weiß gestrichen, aber die Zeit und das wechselhafte Wetter hatten das Weiß in ein fleckiges Gelb verwandelt. An manchen Stellen, wo die Mauern besonders feucht waren, blätterte die Farbe ab. Von der Decke hing eine nackte Glühbirne. Erik ging den Flur hinunter. Zu seiner Rechten zweigte eine Tür in die Wohnstube ab. Das Zimmer war erfüllt vom Ticken unzähliger Uhren, die die Wände beinahe vollständig bedeckten. Der Flur mündete in eine Eingangshalle. Eine Standuhr aus dunklem Eichenholz stand dort neben einer Ottomane, die vermutlich vor langer Zeit einmal ein Schmuckstück gewesen war. Rechts davon führte eine Treppe ins Obergeschoss. Unter der Treppe bemerkte Erik eine Tür mit einem massiven
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