Der Teufel in Thannsüß (German Edition)
sie.
„Ich bin hier, mein Engel. Ich bin bei dir.“
Sie seufzte leise.
Der Arzt runzelte die Stirn. Dann schloss er die Augen. Minutenlang saß er wie erstarrt auf dem Bett. Lediglich seine Hand bewegte sich und führte das Stethoskop über Agathes Brust. „Ich kann Sie beruhigen“, sagte Doktor Gutenberg dann. „Das sieht mir nicht nach einem Infarkt aus. Aber ihr Herz flattert wie ein Vogel in ihrer Brust.“
Er griff in seinen Koffer und holte eine Spritze und eine kleine Glasampulle heraus. Er brach die Spitze der Ampulle ab und sog die enthaltene klare Flüssigkeit in die Spritze. Dann drückte er die Luft heraus, bis ein feiner Strahl Flüssigkeit aus der Spitze der Nadel schoss. „Ich gebe ihr Digitalis“, sagte er. „Das ist ein Medikament, das die Kraft des Herzens stärkt. Es wird aus dem Extrakt des roten Fingerhuts gewonnen. Digitalis verringert die Frequenz des Herzschlags und sorgt dafür, dass mit jedem Schl ag mehr Blut ausgeworfen wird.“
Der Arzt injizierte die Flüssigkeit in Agathes Armvene. Benedikt stand hinter ihm und beobachtete jede se iner Bewegungen mit Argusaugen.
„ Aha. Es wird ihr bald wieder besser gehen“, sagte der Arzt und reichte Benedikt die leere Spritze, ohne sich umzuwenden. „Werfen Sie das weg. Ich lasse ihnen drei Ampullen Digitalis und drei frische Spritzen hier. Sollte sie erneut einen Kreislaufkollaps erleiden, geben Sie ihr eine Ampulle intravenös. Schaffen Sie das?“
„Sehe ich aus wie ein Idiot?“, murmelte Benedikt. Erik hörte den Ärger in seiner Stimme.
„Was mir sehr viel mehr Sorgen bereitet, ist ihr katatonischer Zustand“, sagte der Arzt. „Und sie ist noch ausgemergelter als bei meinem letzten Besuch, falls das denn überhaupt möglich ist. Das ist jetzt mehr als fünf Jahre her, und ich kann keinerlei Besserung feststellen.“ Der Arzt zog ein blütenweißes Taschentuch aus seinem Koffer, nahm seine Brille ab und begann sie energisch zu putzen. Dann setzte er die Brille wieder auf, schob sie mit dem Zeigefinger seinen Nasenrücken hinauf und sah Benedikt zum ersten Mal direkt in die Augen. „Sie brauchen sich keine Sorgen zu machen, Herr Angerer. Zumindest keine akuten. Das Digitalis wird ihren Kreislauf in Schwung bringen und das Herz stärken. Aber sie ist schwach und dehydriert. Geben Sie ihr reichlich zu trinken. Und keinerlei Anstrengung, hören Sie?“
„Ich höre Sie sehr gut“, sagte Benedikt.
„Aha“, sagte Gutenberg und erwiderte Benedikts Blick ausdruckslos. „All das habe ich Ihnen, wenn mich meine Erinnerung nicht täuscht, bereits vor fünf Jahren erzählt.“
Benedikt verschränkte die Arme vor der Brust. Er sagte nichts.
„Aha. Schön.“ Der Arzt rückte seine Brille zurecht. „Da fällt mir ein: Wie geht es den anderen?“
Stille senkte sich über den Raum. Erik sah sich unbehaglich um. Sein Blick streifte die Gesichter der Anwesenden. Sie wirkten mit einem Mal wie versteinert. Schließlich trat der Pfarrer einen Schritt vor. „Allen geht es bestens“, sagte er. „Wir kommen gut zurecht.“ Er berührte Erik sanft am Ellenbogen. „Lassen Sie uns etwas frische Luft schnappen, Erik. Es ist stickig hier drin.“
Der Arzt lächelte. „Die Kinder sind alle gesund?“
„Allen geht es bestens!“, wiederholte der Pfarrer.
„Danke für Ihren Besuch, Doktor.“ Benedikt legte Gutenberg eine Hand auf die Schulter. „Ich weiß es zu schätzen, dass Sie sich die Zeit genommen haben, nach meiner Frau zu sehen. Sie sollten vor Einbruch der Dunkelheit zurückfahren. Der Weg hat so seine Tücken.“
Der Arzt bückte sich, um seinen Koffer aufzuheben. Dann wurde er von Benedikt mit sanfter Gewalt in Richtung Tür geschoben. „Sie haben Recht“, sagte Gutenberg noch immer lächelnd. „In meiner Praxis warten noch andere Patienten darauf, versorgt zu werden. Ich finde allein hinaus, vielen Dank.“ Der Arzt wand sich mit einer eleganten Drehung aus Benedikts Griff und schritt auf die Tür zu. Als er an Erik vorüberging, blieb er plötzlich stehen. „Friedrich Gutenberg“, sagte er und streckte die Hand aus. „Ich glaube, wir kennen uns noch nicht.“
„Erik Strauss“, sagte der Lehrer.
Sie schüttelten einander die Hand. Der Arzt sah ihm dabei unverwandt in die Augen. „Sehr erfreut“, sagte er. „Was um alles in der Welt tun Sie hier?“
Erik blinzelte irritiert. „Ich bin der neue Lehrer.“
„Aha“, sagte der Arzt. Unter seinem Lächeln glaubte Erik etwas anderes zu erkennen, das er
Weitere Kostenlose Bücher