Der Teufel in Thannsüß (German Edition)
nicht genau deuten konnte. Waren es Zweifel, die er in Gutenbergs Blick sah? War es Furcht? Oder schlimmer noch: Mitleid?
„Ich bin erst gestern Abend hier angekommen“, sagte Erik. Sein Mund war trocken.
„Aha.“ Gutenbergs Augen tasteten Eriks Gesicht ab. Aus dem Augenwinkel nahm Erik wahr, dass Benedikt und der Pfarrer angespannte Blicke austauschten. „Dann ist das sicher Ihr Wagen, der den Weg blockiert und mir eine holprige Fahrt durchs Unterholz aufgenötigt hat?“, fragte der Arzt.
„Ich bin im Schlamm stecken geblieben.“
„Stecken geblieben?“, fragte Gutenberg. „Aha. Nun, mein Lieber, es scheint mir, als steckten Sie noch immer bis zum Hals im Schlamm.“
Benedikt trat einen Schritt vor. „Gehen Sie jetzt.“
Gutenberg schenkte ihm ein strahlendes Lächeln. Dann wandte er sich erneut Erik zu. „Gefällt es Ihnen hier?“
„Ja“, sagte Erik, „es gefällt mir.“
„Alles in Ordnung bei Ihnen?“
„Alles in Ordnung.“
„Als Sie vorhin im Zimmer auf und ab gegangen sind, fiel mir auf, dass Sie das rechte Bein ein bisschen nachziehen.“
„Eine Kriegsverletzung.“
„Tut es weh?“
„Nur, wenn das Wetter sich ändert.“
„Aha, Wetterfühligkeit. Das gibt es öfter als man denkt.“ Der Arzt wandte sich ab und ging zur Tür. Als er schon im Türrahmen stand, drehte er sich noch einmal zu Erik um. „Sie sollten mich bei Gelegenheit in meiner Praxis besuchen, Herr Strauss. Dann gebe ich Ihnen etwas gegen die Schmerzen.“
„Danke“, sagte Erik. „Es geht schon.“
Der Arzt schob seine Brille mit dem Zeigefinger ein Stück höher. „Na dann“, sagte er. Er warf ein letztes Lächeln in die Runde. „Wiedersehen, die Herren. Die Damen.“ Er drehte sich um, ohne eine Erwiderung seines Grußes abzuwarten, und war im nächsten Moment durch die Tür verschwunden.
„Der Kerl geht mir gewaltig auf die Nerven“, murmelte Benedikt.
„Seitdem der alte Ransmeier tot ist, ist er der einzige, den wir noch haben“, sagte der Pfarrer.
„Ist es wirklich fünf Jahre her, seit er das letzte Mal hier war?“, fragte Erik. „Ich kann das gar nicht glauben. Es muss schrecklich sein ohne einen Arzt, der im Notfall ...“
„Oh, es ist halb so schlimm .“ Der Pfarrer winkte ab. „Es ist ja nicht so, dass wir hilflos wären wie kleine Kinder. Einige von uns kennen sich mit den hiesigen Kräutern sehr gut aus. Anna ist eine echte Expertin. Fragen Sie sie! Da können Sie einiges lernen.“ Der Pfarrer lachte plötzlich leise in sich hinein.
Erik sah ihn verständnislos an.
„Ich musste nur gerade an den alten Doktor Ransmeier denken“, sagte der Pfarrer. „Weißt du noch, Benedikt?“
„Natürlich“, brummte Angerer. „Wie könnte ich das vergessen.“
„Einmal, als es Agathe besonders schlecht ging, haben wir den alten Ransmeier geholt“, erklärte der Pfarrer. „Der hatte zwar keinen echten Doktortitel, aber er war über viele Jahre hinweg unser Arzt hier oben. Deshalb haben wir ihn auch alle Doktor genannt. Wie dem auch sei, er hat sich Agathe angesehen und dann vorgeschlagen, wir sollten ein Loch in ihren Kopf bohren, um den Druck herauszulassen.“ Er lachte auf. „Benedikt hat ihm einen Schlag verpasst, dass er rückwärts umgefallen ist und sich auf den Hosenboden gesetzt hat. Dann hat Benedikt ihm gesagt, er solle sofort von seinem Grund und Boden verschwinden, sonst würde er höchstpersönlich ein Loch in seinen Kopf bohren. Der alte Ransmeier ist gelaufen wie ein Kaninchen.“ Er lachte, und Benedikt stimmte ein.
„Er war schon ein alter Quacksalber“, sagte Benedikt. „Trotzdem fehlt er mir manchmal.“ Benedikt seufzte und sah auf Agathe hinunter. Er nahm ihre Hand und drückte sie kurz, ehe er sie zurück auf das weiße Laken sinken ließ. „Bettina!“ Er gab der Magd ein Zeichen. „Kümmere dich um sie.“
Die Magd trat geräuschlos herbei und stellte sich neben das Bett.
„Wenn sich ihr Zustand verschlechtert, oder wenn sie aufwacht, rufst du mich.“
„ Ja.“
Benedikt strich Agathe mit der Hand über die Wange. Sie murmelte etwas Unverständliches. Er küsste sie auf die Stirn und stand auf. Dann wandte er sich an die Umstehenden. „Wir wollen diesen herrlichen Tag genießen. Also raus mit euch, und trinkt ein Glas auf meine liebe Frau, damit sie bald wieder auf die Beine kommt.“
Thomas Hellermann legte einen Arm um Eriks Schulter. Sein Griff war überraschend kraftvoll. „Es ist nicht Ihre Schuld, Erik“, sagte er leise. „Also
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