Der Teufel in Thannsüß (German Edition)
seine Frau hochgehoben, als wäre sie nicht schwerer als die Decken, in die sie gewickelt war. Er hatte sie auf seinen Armen ins Haus getragen und auf das Sofa in der Wohnstube gelegt. Sofort waren die Mägde zur Stelle gewesen, um sich um sie zu kümmern. Ihr Körper hatte gezittert, als würde ein Fieber darin wüten.
„Jetzt ist alles aus“, hatte Agathe geflüstert.
Benedikt hatte ihre kleinen Hände in die seinen genommen und das Gesicht in den Decken vergraben, unter denen seine Frau fast verschwand. „Sag so etwas nicht. Du wirst wieder ganz gesund, mein Engel, ich weiß es.“
„Jetzt ist alles aus“, hatte sie wiederholt, ihre Stimme nicht mehr als ein Hauch. Dann war sie ganz still geworden.
Der Pfarrer räusperte sich. „Es ist nicht Ihre Schuld, Erik. Sie hat manchmal diese Anfälle, seit Jahren schon. Es ist schlimm. Aber es k ommt zum Glück nur selten vor.“
Benedikt strich zärtlich über Agathes graues Haar. Ihr Brustkorb hob und senkte sich kaum merklich.
„Sie braucht einen Arzt“, sagte Erik.
Benedikt sah ihn abschätzend an. „Wir haben hier oben keinen Arzt. Und bis nach Bruch ist es zu weit für sie. Außerdem ist der Arzt in B ruch ein unerfahrener Stümper.“
„Sicher kann er mehr ausrichten als Sie.“
Benedikt warf ihm einen finsteren Blick zu. „Selbst wenn es so wäre, bis nach Bruch ist es zu weit.“
„Dann müssen wir den Arzt eben herholen!“, rief Erik.
„Wir brauchen keinen Arzt.“ Benedikt wischte den Vorschlag mit einer mürrischen Handbewegung beiseite. Aber sein Blick war sorgenvoll auf Agathe gerichtet, die mit geschlossenen Augen auf dem Sofa lag. Ihre Lippen waren bläulich verfärbt.
„Es ist nicht das erste Mal, dass sie einen solchen Anfall hat. Das wird schon wieder“, sagte Benedikt. Der Klang seiner Stimme schien seine Worte Lüge zu strafen.
„Kommen Sie, Erik, lassen Sie uns an die frische Luft gehen. Wir werden hier nicht mehr gebraucht.“ Der Pfarrer fasste Erik am Arm.
Erik wand sich aus seinem Griff. „Hören Sie, Thomas, ich möchte nicht unhöflich erscheinen, aber diese Frau braucht einen Arzt! Ich verstehe nicht viel von Medizin, aber für mich sieht das ganz nach einem Herzinfarkt aus. Holen Sie einen Arzt. Sofort!“
„Vielleicht hat er Recht“, murmelte Benedikt.
Der Pfarrer, der sich bereits zum Gehen gewandt hatte, drehte sich zu ihm um. „Was sagst du?“
„Vielleicht hat er Recht, Thomas.“ Benedikt richtete sich auf. „So schlimm war es noch nie. Vielleicht sollten wir Gutenberg wirklich holen.“
„ Gutenberg? Glaubst du, dass das eine gute Idee ist?“
Benedikt blickte lange auf Agathe hinunter. Seine rechte Hand zwirbelte nervös das Ende seines Schnauzbarts. „ Ich habe keine bessere.“
Der Pfarrer stützte sich auf seinen Stock und betrachtete Agathe. Er zog die Stirn in Falten. „Dann hol ihn. Hol ihn schnell und sorg dafür, dass er schnell wieder verschwindet.“
Benedikt nickte langsam. „Das werde ich.“ Er warf einen letzten Blick auf seine Frau und stürmte aus dem Zimmer.
Durchs Fenster beobachtete Erik, wie Benedikt ein Motorrad aus den Stallungen gegenüber holte und darauf davonbrauste.
„Doktor Gutenberg! Danke, dass Sie so kurzfristig kommen konnten“, empfing der Pfarrer den Arzt, als dieser, dicht gefolgt von Benedikt, das Zimmer betrat. Seit Benedikts Aufbruch war kaum mehr als eine Stunde vergangen. Agathes Zustand hatte sich nicht verändert.
Doktor Gutenberg war mittelgroß und schlank. Sein schwarzes Haar war akkurat geschnitten, und auf der markanten Nase saß eine Brille mit runden Gläsern. Seine Gesichtszüge wirkten wie aus Holz geschnitzt. Was ihm an Jahren fehlen mochte, machte er durch sein selbstsicheres Auftreten mehr als wett. Von der freundlichen Begrüßung gänzlich unbeeindruckt, schenkte der Arzt Thomas Hellermann lediglich ein knappes Nicken. Dann schritt er unbeirrt auf das Sofa zu, auf dem Agathe lag. Er stellte seinen braunen Lederkoffer auf dem Boden ab, holte ein Stethoskop heraus und fühlte nach Agathes Puls. Dann setzte er sich aufs Bett und hörte ihren He rzschlag mit dem Stethoskop ab.
In diesem Moment schlug Agathe die Augen auf. Ihr blindes Auge war weiß und leblos. Das andere Auge starrte schwarz und blicklos ins Leere. Sie stöhnte leise.
„Guten Tag, Frau Angerer“, sagte Doktor Gutenberg.
Agathe reagierte nicht.
„Können Sie mich hören?“, fragte der Arzt.
Sie holte hörbar Luft. „Benedikt“, flüsterte
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