Der Teufel in Thannsüß (German Edition)
Waffen oder Gift bei sich, und keines brauchte ein anderes zu fürchten.“ Der Pfarrer strich mit der Hand über den Kopf des Lamms. Er holte einige Male tief Luft, ehe er fortfuhr. „Da aber kam der Teufel zu ihnen, und wie er unter den Menschen Hass und Zwietracht stiftete, so entzweite er auch die Tie re und nahm ihnen die Sprache.“
Ein Raunen ging durch die Menge, und der Pfarrer wartete, bis wieder Stille eingekehrt war. „Seither geben sie nur noch Laute von sich, welche die anderen nicht verstehen. Und da sie sich nicht mehr verstanden, mussten sie sich Waffen und Zufluchtsstätten suchen. Damals zogen die Schnecke und die Biene in die Häuser, die sie noch heute bewohnen, und die anderen Tiere zogen in Löcher und Höhlen in der Erde. Damals legten die Schildkröte, der Krebs und der Hirschkäfer Schild und Panzer an. Damals rüstete sich der Igel mit vielen Stacheln; die Biene und die Wespe nahmen nur einen. Damals wappnete sich das Wildschwein mit Hauern, der Stier und der Widder mit Hörnern, die Schlange und die Spinne mit Gift, die Katze mit Bosheit.“ Er hielt inne und betrachtete das Lamm, das so still in seinen Armen lag, als würde es schlafen. Die Gäste hingen gebannt an den Lippen des Pfarrers. Sie schienen seine Worte aufzusaugen wie ausgetrocknete Erde den Regen.
„Nur die Taube und das Lamm blieben so, wie sie immer gewesen waren. Sie hofften, ihre Unschuld möge sie beschützen. So kommt es denn, dass die meisten Tiere sich bekriegen wie die Völker der Menschen und sich verletzen durch Stoßen, Hauen, Stechen, Kratzen, Schlagen und Beißen. Nur das Lamm und die Taube wehren sich nicht und müssen umso öfter unschuldig leiden. Unser Herrgott aber hat sie beide am liebsten. Und weil dem so ist, werden wir ihm heute ein Lamm zum Geschenk machen. Vielleicht erinnert er sich an seine Kinder unter dem Gletscher, und vielleicht erhört er eines Tages unsere Gebete. Ich weihe dieses Lamm Benedikt, dessen Großzügigkeit niemals aufhören wird, unsere Herzen zu wärmen. Erik, würden Sie bitte aufstehen und mir helfen. Kommen Sie.“ An die Gäste gewandt rief er: „Die große Ehre gebührt Erik Strauss! Ihr habt unseren neuen Lehrer sicherlich schon kennen gelernt!“
Die Leute an den Tischen applaudierten.
Erik stand unsicher auf und stellte sich neben den Pfarrer. Der Boden unter seinen Füßen schwankte. Dieser verdammte Schnaps , dachte er.
Benedikt trat neben Erik und streckte ihm sein Jagdmesser mit dem Griff voraus entgegen. Die Klinge blitzte im Schein der Glühbirnen. Zögernd nahm er es entgegen.
„Strecken Sie Ihre Arme aus, Erik“, sagte der Pfarrer. „Machen Sie schon. Das ist eine große Ehre.“
Erik tat, wie ihm geheißen, und der Pfarrer legte das Lamm in seine Arme. Es blökte leise, ehe es seinen Kopf unter Eriks Achsel steckte. Jemand brachte eine Metallschüssel und reichte sie dem Pfarrer. Er stellte sich vor Erik und hielt die Schüssel unter das Lamm.
„Jetzt müssen Sie den Schnitt anbringen, Erik“, sagte der Pfarrer. „Das Messer ist scharf. Ziehen Sie es einfach über den Hals, so etwa.“ Der Pfarrer demonstrierte die Bewegung mit seinem Zeigefinger am Hals des Lamms.
Erik spürte, wie seine Atmung sich beschleunigte. Doch die Benommenheit machte seine Gedanken träge. Der Hof schien sich langsam um sich selbst zu drehen. Die Augen der wartenden Menge waren unverrückbar auf ihn gerichtet. Er presste seine Lider aufeinander, aber die Dunkelheit dahinter drehte sich schneller als der Hof. Er öffnete die Augen und versuchte einen Fixpunkt zu finden, an dem sein Blick sich festhalten konnte.
„Machen Sie schon Erik, es ist ganz leicht“, sagte der Pfarrer leise. „Beleidigen Sie unseren Gastgeber nicht.“
Erik schluckte. „Aber warum ich?“, fragte er. „Ich habe so etwas noch nie gemacht. Und ich will es auch nicht machen.“
Das Lamm lag warm in seinen Armen. Sein Fell war weich. Er spürte den Atem des Tiers in seiner Achselhöhle.
„Zeigen Sie uns, aus welchem Holz Sie geschnitzt sind, Erik!“, murmelte Benedikt hinter ihm.
„Lassen Sie die Leute nicht länger warten!“, flüsterte der Pfarrer. „Tun Sie es einfach.“ Er nahm Eriks Hand, die das Messer hielt, und führte sie an den Hals des Lamms.
Erik sah ihn an und fühlte sich wie betäubt. Die Worte stolperten betrunken aus seinem Mund. „Das können Sie nicht von mir verlangen! Ich bitte Sie, Thomas.“
„Was ist schon dabei?“, flüsterte Thomas Hellermann. „Eine
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