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Der Teufel in Thannsüß (German Edition)

Der Teufel in Thannsüß (German Edition)

Titel: Der Teufel in Thannsüß (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rupert Mattgey
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Tür erklang die Stimme der Wirtschafterin. „Stehen Sie auf! Es ist schon nach sieben!“
    Erik stöhnte und presste sich beide Hände auf die Schläfen. „Was ist denn los, Anna?“, fragte er, und seine Stimme klang brüchig wie morsches Holz.
    „Was los ist?“, hörte er Anna fragen. „Sie müssen aufstehen, das ist los! Xaver Wrede ist hier, um den Klassenraum zu renovieren. Er wird ohne Sie nicht anfangen.“
    Erik presste sich die Hände gegen die Schläfen. „Geben Sie mir ein paar Minuten, in Ordnung?“
    „Ich habe Sie geweckt, der Rest ist mir egal. Machen Sie das selbst mit Xaver aus.“ Die Wirtschafterin senkte die Stimme. „Aber Sie sollten sich lieber beeilen. Xaver wird schnell ungeduldig.“ Ihre schlurfenden Schritte entfernten sich über den Hof. Sie murmelte ein paar unverständliche Sätze, dann kehrte Ruhe ein. Erik fischte die silberne Uhr aus seiner Tasche und klappte sie auf. Es war kurz nach sieben. Er seufzte und stand auf. Es war kalt im Zimmer, und im Kamin brannte kein Feuer. Er versuchte sich an den Verlauf des gestrigen Abends zu erinnern, aber vor seinem geistigen Auge trieben nur Bruchstücke vorüber.
    Mit einem Mal leuchtete das Bild von Benedikts Frau Agathe in seinem Kopf auf. Er sah sich selbst dabei zu, wie er ihr die Hand reichte, und dann s chrie sie und das Bild erlosch.
    Er sah eine Schüssel voll von dickem rotem Blut auf der Erde stehen. Eine Frau rührt e mit einem Löffel darin herum.
    Dann sah er das Lamm vor sich. Er hielt es in seinen Armen. Eine Klinge blitzte im Lichtschein auf. Er beobachtete sich selbst dabei, wie er dem Lamm die Klinge an die Kehle hielt. Und dann fühlte er noch einmal, was er gestern gefühlt hatte, als er dem Lamm den Hals aufgeschnitten hatte. Ein Speichelstrom sammelte sich in seinem Mund, und er spürte, wie etwas Heißes und Saures seinen Hals hinauf schoss. Er sprang auf und schaffte es gerade noch bis zum Waschtisch. Er übergab sich in die Schüssel, bis nur noch Galle kam.
    Danach trat er mit zittrigen Beinen hinaus auf den Hof und säuberte die Waschschüssel. Er wusch sich selbst unter der Pumpe. Das eiskalte Wasser spülte die Benommenheit aus seinem Kopf. Auf dem Rückweg ins Gästehaus blieb er plötzlich stehen. Auf der Wiese zwischen den Obstbäumen stand sein VW Käfer. Er ging hinüber und warf einen Blick ins Innere des Wagens. Es schien alles in Ordnung zu sein. Als er dann zurück zum Gästehaus ging, fühlte er sich erfrischt und einigermaßen klar. Eine Brise wehte über die Felder heran. Seine Haut kribbelte, als das Blut in die vom eiskalten Wasser taub gewordenen Gliedmaßen zurückkehrte.
    Erik legte den Kopf in den Nacken und sah zum Gletscher auf, der hoch über ihm den stahlblauen Himmel zu berühren schien. Ein Schauer lief über seinen Körper, der nic hts mit der Kälte zu tun hatte.
    Im Gästehaus leerte er den Inhalt seines Seesacks auf dem Boden vor der Tür aus. Erik verstaute seine Kleidungsstücke im Schrank neben der Tür. Die wenigen Bücher, die im Seesack Platz gefunden hatten, legte er ins Regal neben dem Nachttisch. Er hatte einen Schreibblock, Briefpapier, Umschläge und einen Füllfederhalter sowie ein kleines Tintenfass mitgenommen, und er legte alles auf den Esstisch. Er dachte daran, Marie einen Brief zu schreiben und ihr von seinem ersten Tag in Thannsüß zu berichten. Aber er beschloss, dieses Vorhaben auf den Abend zu verschieben. So konnte er sich den ganzen Tag darauf freuen. Er stellte sich den festen, runden Bauch vor, der Marie innerhalb weniger Wochen gewachsen war. Jeden Tag hatte er seine Hand auf diesen Bauch gelegt, ihn gestreichelt und geküsst, bis Marie ihm lachend vorgeworfen hatte, er liebe sie nur wegen ihres Bauches. Er hatte geantwortet, dass er sich immer eine dicke Frau gewünscht habe, und sie hatte lachend mit dem Kissen nach ihm geschlagen. Er dachte an ihren letzten gemeinsamen Abend, an ihre letzte gemeinsame Nacht, an das letzte Mal, dass sie sich geliebt hatten. Es war noch nicht einmal drei Tage her, aber die Sehnsucht zog und zerrte schon jetzt in seiner Brust. Heb dir deine Sehnsucht für heute Abend auf , dachte er. Dann hast du die schönen Gedanken, und du kannst darin blättern wie in einem Buch. Denk an die vielen Briefe, die du ihr schreiben wirst. Und heute Abend, wenn der Strom angestellt wird, kannst du sie endlich anrufen. Er hängte den Riemen seiner ledernen Umhängetasche über den Haken neben der Tür. Dann pulte er mit seinem Klappmesser

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