Der Teufel in Thannsüß (German Edition)
Tiefe des Himmels bringen uns näher zu Gott. Keine wissenschaftlichen Erkenntnisse, keine technologischen Errungenschaften können uns dieser Nähe berauben. Der Glaube ist hier noch sehr lebendig. Und die Geister sind es auch. Verstehen Sie?“
„Welche Geister meinen Sie?“
„Oh, ich meine die Geister, Erscheinungen und Dämonen, die Gegenstand der zahlreichen Sagen sind, denen hier oben bis zum heutigen Tag große Bedeutung beigemessen wird.“
Erik lächelte und nahm einen Schluck von seinem Bier. „Das ist doch nur Aberglaube. Ein Garn, gesponnen am Feuer, um die langen Winterabende erträglich zu machen. Märchen, die den Kindern ein paar moralische Grundwerte beibringen.“
Kathi Brechenmacher, die kleinwüchsige Inhaberin des Krämerladens und Leiterin des im selben Gebäude untergebrachten Postamts, setzte sich zu ihnen. „Wie geht es Ihnen, Erik?“, fragte sie strahlend. „Gefällt Ihnen das Fest?“
Erik erwiderte i hr Lächeln. „Es ist wunderbar.“
Wenig später wurde das Essen serviert. Auf einer Platte waren große Stücke gebratenen Schweinefleischs angerichtet. In einer Porzellanschüssel wurden Knödel aufgetragen, und in einem Topf dampfte Sauerkraut mit Kümmel und Speck. Es schmeckte ausgezeichnet. Nach dem Essen schenkte Lothar Brant eine weitere Runde Schnaps aus. „Gut für die Verdauung“, sagte er.
Erik hatte mehr gegessen, als er für möglich gehalten hätte, weit mehr getrunken, als er gewohnt war, und sein Pullover spannte sich bedenklich über der Wölbung seines Bauches. Sie tranken den Schnaps, und der kalte Obstler belebte ihn ein wenig. Er rauchte eine Zigarette und sah z um sternenübersäten Himmel auf.
Der Pfarrer stopfte sich eine Pfeife. „Zigaretten verträgt meine alte Lunge nicht mehr. Die Dinger brennen wie das Höllenfeuer selbst .“
Die Dämmerung brach herein. Elektrische Glühbirnen tauchten den Hof in schummriges Licht. Die Luft wurde langsam merklich kühler.
Über die Auffahrt näherten sich vier Gestalten: ein Mann, eine Frau und zwei vierzehn- oder fünfzehnjährige Kinder. Sie kamen geradewegs auf den Tisch zu, an dem Erik mit dem Pfarrer, Benedikt, dem Bürgermeister und Kathi Brechenmacher saß. Die Frau trug ein weit geschnittenes Kleid, das ihren kugelrunden Bauch nicht vollständig verbergen konnte. Angesichts des Bauchumfangs schloss Erik auf den sechsten oder siebten Monat.
Benedikt stöhnte leise. „Da kommen die Sonnleitners.“
Der Pfarrer wandte sich zu der Familie um, als sie den Tisch erreichte. „Ah, Felix, Christa. Schön, dass ihr doch noch kommen konntet.“
Benedikt stand auf. „ Danke, dass ihr mir die Ehre eures Besuchs erweist.“ In Eriks Ohren klang sein Tonfall, in Verbindung mit der angedeuteten Verbeugung, wie beißende Ironie. Zu den Kindern sagte Angerer: „Klara, Albert. Wir haben noch reichlich zu essen, warum geht ihr nicht in die Küche und lasst euch von den Mägden versorgen?“
Das Mädchen nickte eifrig, während der Junge mit großen Augen vor sich hin stierte. Ein Speichelfaden rann aus seinem Mundwinkel. Es schien ihn nicht zu stören.
„Kinder, ihr bleibt hier! Wir werden gleich wieder gehen.“ Felix Sonnleitner wandte sich Benedikt zu. „Wir wollten dir nur unsere Glückwünsche überbringen, Benedikt.“
„Das ist sehr freundlich von euch. Bitte, setzt euch doch.“
Felix Sonnleitner zögerte. „Danke. Wir wissen deine Gastfreundschaft zu schätzen. Aber es geht nicht.“ Er ließ seine Augen über den Tisch wandern. An Erik blieben sie hängen. Sonnleitner musterte ihn durchdringend. Aber es war nicht Feindseligkeit, die in seinem Blick lag. Erst nach einer Weile wurde Erik klar, was es war, das dort glomm: Angst. Felix Sonnleitner hatte vor irgendetwas furchtbare, nur mühsam unterdrückte Angst.
Der Pfarrer legte Erik eine Hand auf den Arm. „Felix, das ist unser neuer Lehrer, Erik Strauss.“
Felix nickte kaum merklich, dann wandte er sich ab. „Christa, wir gehen. Kommt, Kinder.“ Er nahm seine Frau bei der Hand. Sie gingen die Auffahrt hinunter, und die Kinder folgten ihnen.
„So geht das nicht“ , sagte der Pfarrer und stand mühsam auf. „Ich werde ein Wörtchen mit ihm reden.“ Benedikt und Lothar Brant erhoben sich ebenfalls. Zu dritt folgten sie der Familie.
„Felix, warte mal!“, rief Benedikt. „Wir müssen reden!“
Die Familie blieb stehen und drehte sich um. Als Benedikt sie eingeholt hatte, rammte er Felix Sonnleitner den Zeigefinger in die Brust.
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