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Der Teufel in Thannsüß (German Edition)

Der Teufel in Thannsüß (German Edition)

Titel: Der Teufel in Thannsüß (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rupert Mattgey
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Felix hob abwehrend die Arme und wich langsam zurück. Erik hörte Benedikts Stimme anschwellen, laut und bedrohlich, aber er konnte über die Musik und das Stimmengewirr im Hof hinweg kein Wort verstehen. Kam es ihm nur so vor, oder spielten die Musiker plötzlich lauter, schneller auf? Lothar und der Pfarrer mischten sich ein. Alle schienen intensiv auf Felix und Christa Sonnleitner einzureden. Der Pfarrer gestikulierte ausladend. Lothar Brant trat zwischen die Streitenden, aber Benedikt schob den schmächtigen Bürgermeister grob beiseite. Erik glaubte, Christa Sonnleitner weinen zu hören, glaubte zu sehen, dass sie sich die Hände vor die Augen schlug. Im matten Schein der Glühbirnen waren die Dinge nur schwer zweifelsfrei zu erkennen. Erik spürte ein Kribbeln auf seiner Kopfhaut.
    Kathi Brechenmacher schenkte ihm ihr breitestes Lächeln. Das Licht der Glühlampen spiegelte sich in den großen Gläsern ihrer Brille. Erik konnte ihre Augen nicht erkennen. Er sah nur ihr Lächeln. Er sah nur ihre Zähne. „Tja! Wer hier das Sagen hat, haben Sie sicher schon bemerkt“, rief sie jovial.
    „Schwer zu übersehen. “ Erik zwang sich, den Blick von den Streitenden abzuwenden. „Worum geht es da?“
    „Oh.“ Sie machte eine wegwerfende Handbewegung. „Das sind alte Geschichten, was weiß ich. Vielleicht hat Felix noch Schulden bei Benedikt vom Kartenspielen letzte Woche, oder seine Kinder haben wieder irgendetwas angestellt.“
    Erik glaubte ihr kein Wort.
    „Diese Kinder!“, fuhr Kathi unbeirrt fort. „Man kann sie nicht aus den Augen lassen. Klara ist ein anständiges Mädchen. Aber dieser Albert!“ Sie schüttelte traurig den Kopf. „Er hat den Verstand eines Dreijährigen. Eines Tages wird er ihnen allen etwas antun. Er hat zu viel Kraft für seinen kleinen Verstand, der arme Junge. Zu viel Kraft! Er fasst etwas an, das er besonders schön findet, und zerquetscht es mit seinen groben Händen. Was habe ich diesen Jungen schon weinen sehen! Seien Sie vorsichtig mit ihm, Erik. Er weiß manchmal gar nicht, was er tut.“
    „Seit wann ist er so?“
    „Oh, schon sehr lange. Bis zu seinem dritten Lebensjahr hat er sich ganz normal entwickelt, aber dann ...“ Sie ließ den Satz unvollendet in der Luft hängen. „Es ist traurig.“
    Der Wind trug erneut den Lär m des Streits zu ihnen herüber.
    Kathi tätschelte Eriks Hand. „Lassen Sie sich die gute Stimmung nicht kaputt machen! Manchmal gehen die Gefühle eben mit einem durch und man sagt Dinge, die man gar nicht so meint. Aber am nächsten Tag ist dann alles wieder in bester Ordnung.“
    Erik bezweifelte, dass für Familie Sonnleitner morgen alles wieder in bester Ordnung sein würde. Misch dich nicht in fremder Leute Angelegenheiten ein , dachte er. Du hast genug zu tun mit deinen eigenen.
    Er zündete sich eine Zigarette an und versuchte, sich sein Unbehagen nicht anmerken zu lassen. Kathi schien ihm keine Ruhepause gönnen zu wollen. „Oh, ich fürchte, ich habe Sie vorhin unterbrochen. Als ich an Ihren Tisch kam, sprachen Sie über Aberglauben, richtig? Sind Sie abergläubisch , Erik?“
    „Nein . Bin ich nicht.“
    Kathi machte eine wegwerfende Handbewegung. „Ach, wahrscheinlich haben Sie Recht, und das ist alles nur Humbug, den sich die Tratschweiber erzählen, um sich die langen Abende zu vertreiben.“ Sie nickte. „Ich selbst habe ja auch nur einmal etwas gesehen.“
    „Etwas gesehen?“ Erik sah sie fragend an. „Was meinen Sie?“
    Sie beugte sich über den Tisch nach vorn und senkte verschwörerisch die Stimme. „An dem Tag, an dem mein Mann gestorben ist, war ich auf dem Gletscher. Oh, ja. Ich war dort oben, ganz alleine. Ich habe nach einem Schaf gesucht, das sich von der Herde getrennt hatte. Mein Mann war Schäfer, müssen Sie wissen, aber meistens lag er lieber besoffen zuhause herum, anstatt sich um seine Herde zu kümmern. Der elende Tagedieb!“ Sie schnaubte ein bitteres Lachen aus, und für einen Moment starrte die kleine alte Frau mit den viel zu großen Brillengläsern an Erik vorbei in die Ferne, direkt in die Vergangenheit. Aber sie fing sich schnell wieder. „Wie dem auch sei, ich war über die linke Zunge aufgestiegen, weil es da nicht so steil ist, aber ich fand keine Spur von unserem Schaf. Als ich den Gipfel erreichte, war es schon spät. Dichtes Schneetreiben hatte eingesetzt. Und als ich gerade umkehren wollte, um es noch vor Einbruch der Dunkelheit zurück ins Tal zu schaffen, kam durch den Schnee eine Gestalt

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