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Der Teufel in Thannsüß (German Edition)

Der Teufel in Thannsüß (German Edition)

Titel: Der Teufel in Thannsüß (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rupert Mattgey
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aus, als wären Sie dem Leibhaftigen begegnet. Hier, trinken Sie einen Schluck. Das wird Ihre Lebensgeister wecken.“
    „Anna war bereits so freundlich, mir ein Glas Schnaps anzubieten. Ich bin es nicht gewohnt, soviel zu trinken. Schon gar nicht am helllichten Tag.“
    „Lassen Sie mich nicht alleine trinken, Erik! In meinem Alter bleiben einem Mann nicht mehr viele Freuden. Aber der Whiskey ...“ Er lächelte versonnen. „Der Whiskey vermag auch ein altes Herz zu wärmen. Er ist ewig. Trinken Sie!“
    Der Pfarrer füllte die bernsteinfarbene Flüssigkeit aus einer Karaffe in ein Glas und reichte es Erik. „Das hier ist feinster schottischer Whiskey von der Isle of Islay. Zwanzig Jahre alt. Ein wahres Gottesgeschenk.“
    Erik hob sein Glas und stürzte den Whiskey hinunter. Er stellte das Glas auf dem Beistelltisch ab und beugte sich nach vorne. „Ich muss mit Ihnen reden.“ Er atmete tief durch.
    Der Pfarrer seufzte. „ Sehen Sie diese Uhr, Erik?“ Er hielt das Ziffernblatt mit dem geöffneten Uhrwerk in die Höhe. „Das ist eine Werksuhr aus dem Jahre 1891. Das Räderwerk ist verschmutzt, sehen Sie? Und ich denke, ich sollte die Unruhfeder austauschen. Was meinen Sie?“
    „Thomas, ich – ich weiß nicht, was ich sagen soll.“
    „Oh doch.“ Der Pfarrer lächelte. „Sie wissen nur nicht, wie Sie es sagen sollen.“
    Erik presste die Lippen zusammen. Sag es ihm einfach , dachte er. Sag es ihm, und pass gut auf, wie er reagiert.
    Und wenn sie Piel umgebracht haben ? Was, wenn er mit drin steckt?
    Unsinn , sagte er sich. Er ist der Pfarrer. Er ist ein guter Mann.
    Aber wenn doch , beharrte die Stimme. Du hast einen Knochen gefunden, der aussieht, als könnte er von einem Menschen stammen. Und einen Pass, dessen Besitzer unauffindbar ist. Wie kommt Cornelius Piels Pass in den Keller? Wie kommt die Pistole ins Gästehaus? Wie kommt der Knochen in die Mühle? Wer zermahlt einen Leichnam zu Staub?
    Ein Mörder, der seine Spuren vernichten will , dachte er.
    Erzähl es ihm , drängte die erste Stimme.
    Sag kein Wort , flüsterte die zweite Stimme. Er ist einer der mächtigsten Männer im Ort. Er weiß über alles Bescheid. Sag kein Wort, behalt es für dich.
    Aber das kann ich nicht , dachte er. Ich kann es nicht.
    Der Fingerknochen lag heiß und schwer wie ein glühendes Stück Kohle in seiner schweißnassen Handfläche. Wo ist Cornelius Piel? Vielleicht ist das, was ich in meiner Hand halte, das Einzige, was von ihm übrig ist.
    Mag sein , sagte das Ding in seinem Kopf, das klang wie sein Vater. Aber vielleicht bist du auch einfach nur irre. Vielleicht bist du an dem Tag irre geworden, an dem du deinen Bruder hast brennen lassen.
    „Wussten Sie, dass die Mönche in früheren Zeiten Kerzen für die Zeitmessung verwendeten?“ Die Stimme des Pfarrers riss ihn aus seinen Gedanken.
    „Nein, das wusste ich nicht.“
    „Aber es ist wahr ! In den Kerzen waren in regelmäßigen Abständen kleine Metallkugeln eingebettet, und wenn das Wachs an der entsprechenden Stelle geschmolzen war, fiel eine Kugel heraus und erzeugte so ein akustisches Signal. Erstaunlich, nicht wahr?“
    „Ja“, sagte er leise. „Ganz erstaunlich.“
    „Haben Sie sich jemals Gedanken über das Wesen der Zeit gemacht, Erik?“
    Erik schüttelte stumm den Kopf.
    „Manchmal wünschte ich, ich könnte die Zeit zurückdrehen“, sagte der Pfarrer nachdenklich und starrte auf die zerlegte Werksuhr in seinem Schoß. „Aber ich fürchte, meine Bemühungen sind vergebens. Sehen Sie sich nur all diese Uhren an! Als junger Mann bin ich viel gereist, und von jeder Reise brachte ich mindestens eine Uhr mit. Es müssen Hunderte sein, und ich habe jede einzelne davon zerlegt und studiert. Aber es ist mir nicht gelungen, auch nur eine einzige von ihnen rückwärts laufen zu lassen.“ Der Pfarrer sah ihn ruhig an und schloss dann die Augen. „Die Zeit ist eine gierige alte Hure, Erik, bitte entschuldigen Sie meine Ausdrucksweise. Sie nimmt und nimmt und gibt nichts zurück, und die Entscheidungen, die man einmal getroffen hat, stehen unverrückbar fest bis in alle Ewigkeit.“
    Erik zog die Stirn in Falten. „Ich glaube daran, dass man getroffene Entscheidungen revidieren und begangene Fehler korrigieren kann“, sagte er schließlich. „Und vor allem hat man immer die Wahl. Darauf kommt es doch an.“
    Der Pfarrer sah ihn über den Rand seines Glases hinweg an. „Sie sind ein junger Mann“, sagte er dann und trank einen Schluck. „Als ich in

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