Der Teufel in Thannsüß (German Edition)
filigranen Lichtstrahlen tanzte, die durch Ritzen in der Außenwand drangen. An der Wand zu seiner Linken waren prall gefüllte Mehlsäcke aufgestapelt. Vom Mahlwerk über der Holzbütte im Zentrum des Raumes erhob sich senkrecht eine hölzerne Achse, die sich hoch über seinem Kopf in der Dunkelheit des Gebälks verlor. Die Achse rotierte um sich selbst und verband die Flügel der Windmühle mit dem Mechanismus des Mahlwerks. Erik setzte seinen Fuß auf die nächste Treppenstufe.
Plötzlich huschte direkt vor seinem Gesicht ein dunkler Schatten vorüber. Erik sprang zurück. Sein Fuß verfehlte die Stufe, er taumelte und konnte sich im letzten Moment am Geländer festhalten. Er folgte den Bewegungen der schemenhaften Gestalt mit den Augen. Mit einem Quieken verschwand die Ratte in der Dunkelheit. Erik lachte laut auf . „Ich wusste es“, murmelte er.
Dann fasste er sich ein Herz und erklomm vorsichtig das letzte Stück der Treppe. Er näherte sich der Mitte des Raums. Seine Schuhe hinterließen Abdrücke im weichen Mehlstaub. Vor der Holzbütte blieb er stehen. Der obere der beiden Mühlsteine war direkt mit der wuchtigen Holzachse verbunden und rotierte mit enormer Geschwindigkeit, obwohl der Wind draußen kaum zu spüren war. Der Stein war rund und hatte einen Durchmesser von etwa einem Meter. Er war aus hellgrauem Granit, so wie der große unter ihm ruhende Mahlblock auch. Etwas hatte die Seiten des Mahlbocks dunkelbraun verfärbt. Unter der dünnen Mehlschicht sah es so aus, als wäre Farbe daran heruntergelaufen. Die Innenwände der Bütte waren weiß vom Mehl, und überall lagen leere Getreidehülsen herum. Erik bemerkte, dass er in einer zentimeterdicken Schicht aus Mehl stand. Es knirschte unter seinen Schuhen wie Schnee. Er bückte sich und legte seine Hände in die weiße Fläche. Sie fühlte sich weich und angenehm an. Als seine Finger durch das Mehl fuhren, ertasteten sie einige kleine, harte Gegenstände. Sie fühlten sich an wie Kieselsteine. Er ging in die Hocke und fuhr mit den Fingerspitzen durch das Mehl, bis er einen der Steine zu fassen bekam. Er zog ihn heraus und hielt ihn zwischen Daumen und Zeigefinger. Das Zwielicht im Inneren der Mühle erschwerte ihm die Sicht.
Der Stein war zwei Zentimeter lang, hatte eine runde Basis von etwa einem Zentimeter Durchmesser und verjüngte sich nach oben zur Spitze hin. Der Stein war weiß.
Das Geräusch des Mahlwerks dröhnte in Eriks Ohren. Das Schaben der Mühlsteine war mit einem Mal zu laut. Erik blies den Mehlstaub von dem Stein und rieb mit dem Daumen darüber, aber die weiße Färbung blieb. Das Gebälk über seinem Kopf stöhnte und knarrte. Sein Herz raste in seiner Brust. Er hielt sich den Stein dicht vor die Augen. Das Mahlwerk rumpelte und polterte wie ein wildgewordenes Pferd in seiner Box, die Mühlsteine rieben brüllend aneinander. Die Zahnräder klackten und schnarrten. In Eriks rechter Schläfe begann eine Ader zu pochen. Sein Blut rauschte in harten Stößen durch seinen Schädel und vermengte sich in seinen Ohren mit dem Lärm des Mahlwerks zu einer brausenden Kakophonie. Der kleine kegelförmige Stein zwischen seinen Fingern war zu glatt, zu regelmäßig, zu weiß.
Was er in seiner Hand hielt, war kein Stein. Es war ein Knochen. Er sah aus wie das oberste Glied eines menschlichen Fingers.
Und dann klickte etwas in seinem Gehirn, so als hätten sich plötzlich einige Puzzleteile aneinander gefügt, die einzeln keinen Sinn ergaben. Er sah den fetten Wirt vor sich, den er in Bruch nach dem Weg gefragt hatte. Ich kenne den Ort , hatte der Wirt gesagt. Es ist schon seltsam: Zehn Jahre lang hab ich den Namen nicht mehr gehört, und in diesem Jahr sind Sie schon der Zweite, der mich danach fragt . Ein junger Pfarrer war hier. Endlich Ablösung für den alten Hellermann!
Er sah Schulrat Obermeier vor sich, er saß ihm gegenüber an dem Tisch im alten Brauhaus in München, und er sagte: Vor einigen Monaten brach der Kontakt zu Piel einfach ab. Da war nichts mehr. Kein Anruf, kein Brief. Gar nichts. Als hätte der Gletscher da oben sich einfach aufgetan und ihn verschluckt.
Der Gewölbekeller unter dem Pfarrhaus flackerte in seiner Erinnerung auf wie das letzte Bild eines im Projektor steckengebliebenen Films, das auf der Leinwand verglüht. Er sah den dunklen Gang vor sich, die Tür, den Raum dahinter. Und am anderen Ende des Raums den Sekretär. Er sah sich selbst in das unterste Fach des Sekretärs greifen und einen Stapel
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