Der Teufel in Thannsüß (German Edition)
darin, das Erik zuvor nicht bemerkt hatte. Er zog seine Hand zurück.
„Was haben Sie da?“, fragte der Pfarrer, und das Lächeln um seinen Mund wurde breiter. Seine Augen waren fest auf Eriks geballte Faust gerichtet.
„Nichts.“ Erik schluckte. „Ich bin gestürzt und habe mir die Hände verletzt.“ Er hielt seine bandagierte Hand hoch. Gleichzeitig versuchte er, die andere Hand vor den Augen des Pfarrers zu verbergen. „Sie haben mir schon genug Zeit geopfert, Thomas. Dieser Kanter hat mir einen gehörigen Schrecken eingejagt, das ist alles.“
Der Pfarrer nickte. Das Lächeln, das seinen Mund umspielte, wirk te jetzt gütig, fast väterlich.
Wahrscheinlich war es niemals anders , dachte Erik. Du hast es dir eingebildet. Er ist ein guter Mann.
Als Erik aufstand, fiel sein Blick auf eine Schrotflinte, die an zwei Eisenhaken an der Wand über dem Kamin hing. Ihr Schaft war dunkel und vom häufigen Gebrauch glattpoliert. „Gehen Sie noch zur Jagd?“
„Oh nein.“ Der Pfarrer hustete in die vorgehaltene Hand. „Dafür bin ich zu alt. Die Flinte ist gegen die Wölfe.“
„Wölfe?“
Der Pfarrer nahm einen Schluck von seinem Whiskey und kniff die Augen zusammen. „Es ist eine Weile her, seit sich der letzte Wolf nach Thannsüß verirrt hat. Es gibt hier nicht mehr viele. Aber glauben Sie mir, dem nächsten Wolf, der seine dreckigen Pranken auf den Boden meines Dorfes setzt, werde ich eigenhändig den Kopf wegschießen. Vorausgesetzt, ich erkenne ihn rechtzeitig.“ Er warf dem Lehrer einen abschätzenden Blick zu. Erik spürte ein unwohles Gefühl in sich aufsteigen.
„Keine Angst, Erik. Ich halte Sie nicht für einen Wolf.“ Das Lächeln kehrte auf Thomas Hellermanns Gesicht zurück. „Ich möchte nicht unhöflich sein, aber wenn Sie kein weiteres Anliegen haben, möchte ich Sie jetzt bitten, mich zu entschuldigen. Ich muss diese Uhr zum Laufen bringen, bevor Anna mich zwingt, mich wieder zu Bett zu begeben. Natürlich meint Sie es nur gut.“
„Natürlich.“ Erik zögerte. Dann setzte er sich noch einmal in den Sessel vor dem Kamin. „Da wäre noch eine Sache.“
Der Pfarrer legte den Kopf schief. „Und die wäre?“
„Es geht um meinen Vater. Und um die Geschichte, die Sie mir erzählt haben. Die Geschichte von der Nacht, in der die Bombe abgeworfen wurde. Am 19. April 1944.“
Der Pfarrer nickte bedächtig. „Verraten Sie mir, was Ihr Vater damit zu tun hat. Er war Soldat, wenn ich das Bild in Ihrer Uhr recht in Erinnerung habe?“
„Er war Bomberpilot. Er ist im Einsatz verschollen.“
„Wann war das?“
Erik zog die Stirn in Falten. „Im April 1944.“
Der Pfarrer schwenkte das Whiskeyglas in seiner Hand. „April 1944“, murmelte er. „Jetzt wird mir einiges klar. Deshalb haben Sie so seltsam reagiert, als ich Ihnen unseren hässlichen schwarzen Fleck gezeigt habe.“ Der Pfarrer beugte sich nach vorn. Er betrachtete Erik mit einer Mischung aus Interesse und Erheiterung. „Sie denken, es könnte Ihr Vater gewesen sein, der damals über dem Gletscher abgestürzt ist, habe ich Recht?“
Erik nickte stumm. Hitze pulsierte in seinen Wangen.
„Das Datum könnte passen? Und die Flugroute?“
„Man hat uns gesagt, er sei über Italien abgestürzt.“
„Italien, so.“ Der Pfarrer schüttelte den Kopf. „Wissen Sie denn nichts Genaueres?“
„Nein. Aber der Gedanke lässt mich nicht mehr los.“
„Wann genau ist Ihr Vater verschwunden?“
„Alles, was ich weiß, hat mir meine Mutter erzählt. Er ist im April des Jahres 1944 über Italien verschollen.“
Nach einer Weile sagte der Pfarrer: „Nun gut. Sie glauben, er könnte hier abgestürzt sein. Hier über dem Grimboldgletscher. Obwohl er sich zu diesem Zeitpunkt eigentlich irgendwo über Italien hätte befinden müssen?“
„Vielleicht ist er nicht über Italien abgestürzt, sondern bereits auf dem Weg dorthin! Die Route würde passen.“
„Sie scheinen sehr an Ihrem Vater zu hängen, Erik“, sagte der Pfarrer. Seine Stimme klang mitfühlend. „Sind Sie sicher, dass Sie sich nicht in etwas hineinsteigern? Ich hoffe, ich trete Ihnen nicht zu nahe, wenn ich sage, dass das Ganze für mich nach der Fantasie eines kleinen Jungen klingt, der sich nach seinem Vater sehnt.“
Ich höre seine Stimme in meinem Kopf , wollte Erik sagen. Aber er schluckte den Satz hinunter. Stattdessen sagte er: „Mein Vater war ein guter Mensch, der seine schlechten Seiten hatte.“ Das Echo der Stimme seiner Mutter vibrierte
Weitere Kostenlose Bücher