Der Teufel in Thannsüß (German Edition)
Ihrem Alter war, habe ich ähnlich gedacht.“ Der Pfarrer schenkte ihm Whiskey nach. „Aber ich schweife ab. Worüber wollten Sie mit mir reden?“
Erik nahm das volle Glas entgegen und schloss die Augen.
Sag ihm kein Wort , mahnte die Stimme in ihm.
Er spürte das Gewicht des Knochens in seiner geballten Faust. Vielleicht ist es nur ein Tierknochen. Du würdest dich zum Gespött machen.
Als Erik die Augen öffnete, sah ihn der Pfarrer erwartungsvoll an. „Ich war in der alten Mühle“, sagte Erik. Seine Stimme klang, als läge das aufgewirbelte Mehl noch immer auf seinen Stimmbändern. Falten erschienen auf der Stirn des Pfarrers, als er sich nach vorne beugte.
Erik räusperte sich. „Ich war neugierig. Alte Maschinen interessieren mich. Ich wollte mir das Mahlwerk ansehen.“
„So. Das erklärt, warum Sie von oben bis unten mit Mehl bedeckt sind.“
„Der Mahlblock war schwarz verfärbt“, sagte Erik. Die Worte drängten sich plötzlich und schnell aus seinem Mund. „Als wäre Farbe daran heruntergelaufen ... oder etwas anderes.“
„Das kann ich mir vorstellen!“ Der Pfarrer lachte leise.
„Ich war nicht allein in der Mühle!“, rief Erik. „Ein Mann war dort, zwei Meter groß, das Gesicht vermummt und offensichtlich nicht bei klarem Verstand!“
Der Pfarrer blickte ihn gel assen an. „Hat er Sie bedroht?“
Die Bilder in Eriks Kopf waren verschwommen, wie ein Aquarellgemälde, das man mit Wasser übergossen hatte. „ Ich glaube nicht“, sagte er schließlich. „Er stand nur da und stammelte sinnloses Zeug.“ Er leckte sich über die Lippen, schmeckte Mehl und Salz. „Aber seine Augen waren dunkel und leer, als wäre er nicht bei Verstand.“
Der Pfarrer nickte bedächtig. „Sie sind Kanter begegnet.“
„ Kanter? Wer ist das?“
Der Pfarrer dachte eine Weile angestrengt nach. „ Kanter ist ein Fall für sich“, sagte er dann. „Als Kind wäre er beinahe ertrunken, im Schwarzsee beim alten Bergwerksstollen.“ Der Pfarrer legte die Fingerspitzen aneinander und sah nachdenklich zur Decke auf. „Es war Winter, und er ging mit seinen Freunden aufs Eis hinaus. Kanter war schon als Kind außergewöhnlich groß und schwer. Er ist eingebrochen. Und dann ist er untergegangen. Er konnte nicht schwimmen. Als die anderen Kinder endlich Hilfe geholt hatten, trieb sein lebloser Körper schon zu lange unter der Eisdecke. Sein Vater, Gott hab ihn selig, hat das Eis aufgehackt und den Jungen herausgezogen. Dann hat er ihn zurück ins Leben geholt. Es war ein Wunder, wenn ich jemals eines gesehen habe.“ Der Pfarrer starrte gedankenverloren in die Flammen im Kamin. „Aber die Freude währte nicht lange, denn mit der Zeit wurde allen klar, dass Kanters Gehirn schwere Schäden erlitten hatte. Und obwohl sein Körper weiterwuchs, blieb sein Verstand auf der Stufe eines Kindes einfach stehen.“
„Das ist schrecklich.“
„Ja, das ist es.“ Der Pfarrer nickte bedächtig. „Aber keine Sorge, es geht ihm gut. Er lebt in seiner eigenen Welt, und ich glaube, er ist ganz glücklich dort.“ Er verzog den Mund zu einem schmerzvollen Lächeln. „Wie dem auch sei, wir lassen Kanter einfache Arbeiten für uns verrichten, bei denen er seine Kraft gut einsetzen kann und nicht so viel nachdenken muss. Sie verstehen schon. Wenn ich mich nicht irre, hat Benedikt ihn damit beauftragt, die Mühle winterfest zu machen. Sie haben ja sicher bemerkt, dass die Flügel sich drehen und das Mahlwerk in Betrieb ist, ohne dass es etwas zu zermahlen gibt. Außer ein paar Schlachtabfällen, natürlich. Die Flügel müssen festgestellt werden. Der erste Wintersturm könnte sie sonst ernstlich beschädigen.“
„Schlachtabfälle?“ Erik spürte, wie mit einem Mal eine tonnenschwere Last von seinen Schultern wich.
Schlachtabfälle , dachte er. Du verdammter Idiot.
„Ganz recht. Wir zermahlen die Schlachtabfälle zu Knochenmehl und streuen das Mehl über die Felder. Das ist einer der Gründe, warum der Boden hier oben so fruchtbar ist. Warum wir Jahr für Jahr sagenhafte Ernten einfahren. Es gibt keinen besseren Dünger als Knochenmehl.“
Erik lachte laut auf und schüttelte den Kopf. „Und deshalb ist der Mühlstein schwarz verfärbt?“
„Das ist er in der Tat“, sagte der Pfarrer lächelnd.
Erik streckte die Faust aus, um den Knochen, den er gefunden hatte, auf den Tisch zu legen. Aber als er den Blick hob, sah er, dass das Lächeln des Pfarrers nicht bis zu seinen Augen reichte. Ein Glitzern lag
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