Der Teufel in Thannsüß (German Edition)
Papiere hervorholen. Und dann hatte er das Bild eines jungen Mannes vor Augen, kaum älter als er selbst, der schüchtern in die Kamera lächelte. Er sah das goldene Kreuz an der Halskette, sah die geöffneten Briefe, die allesamt an eine Regensburger Anschrift adressiert waren, die sie nie erreicht hatten. Seine Augen tasteten über das Knochenfragment, das er in den Händen hielt.
Aber das kann nicht sein , dachte er. Es kann nicht sein!
Cornelius Piel hat grüne Augen, dachte er. Er ist 1,79 Meter groß. Er ist katholisch, und auf dem Foto in seinem Pass, der im Keller des Pfarrhauses liegt, trägt er ein Kreuz an einer Kette um den Hals.
Und dann kam noch eine Erinnerung in ihm hoch. An seinem ersten Morgen im Gästehaus hatte er eine Waffe dort gefunden. Eine Pistole, in deren Knauf die In itialen CP eingraviert waren.
Er drehte den Knochen zwischen seinen Fingern hin und her. Er geriet ihm immer wieder aus dem Fokus. Das kann nicht sein, dachte er wieder und wieder. Das kann einfach nicht sein.
Aber etwas tief in seinem Inneren wusste, dass er Cornelius Piel endlich gefunden hatte. Die Erkenntnis traf ihn wie ein Schlag. Erik kippte nach hinten und fand nicht die Kraft, sein Gleichgewicht zu halten. Er schlug hart auf den Bodendielen auf. Mehl stob unter seinem Körper hervor. Er landete auf seiner Tasche und spürte die Bierflasche darin unter der Wucht des Aufpralls bersten. Instinktiv schloss er seine Faust um den Fingerknochen, um ihn nicht zu verlieren. In dem Moment, in dem sein Kopf auf die Bretter prallte, explodierte das Gebälk über ihm in einem Chaos aus Lärm und Bewegung.
Als sich Dutzende Krähen gleichzeitig von ihren Nistplätzen in die Luft erhoben, übertönten ihre Schreie sogar das Dröhnen des Mahlwerks. Die Vögel brausten über seinen Kopf hinweg wie ein schwarzer Wind. Er riss die Arme hoch und legte sie schützend über sein Gesicht. Das Schlagen ihrer Flügel wirbelte das Mehl vom Boden auf. Von einem Moment auf den anderen hing eine dichte Staubwolke im Raum. Die Krähen kreischten und schossen über seinen Kopf hinweg, stiegen schließlich hoch in die Luft und verschwanden eine nach der anderen durch ein rundes Fenster im Dachgiebel.
Erik lag zitternd auf dem Boden im Mehl. Sein Herzschlag klang wie das Flattern ihrer Flügel, das Rauschen des Blutes in seinen Ohren wie das Geräusch, mit dem sie die Luft zerschnitten hatten. Mehlstaub war ihm in Mund, Nase und Lungen gedrungen, und er hustete, bis sein Brustkorb schmerzte und sein Hals sich rau und wund anfühlte. Schließlich nahm er die Arme von seinem Gesicht und ließ sie erschöpft zu Boden sinken.
Über ihm im Gebälk hockte eine riesige, dunkle Gestalt und blickte mit ausdruckslosen Augen auf ihn hinab. Dann sprang sie.
Kapitel 2 1
Die Gestalt landete in einer Wolke aus Mehl und Staub direkt vor ihm, der Boden bebte unter dem Aufprall. Erik wälzte sich zur Seite und rappelte sich taumelnd auf. Der Mann war mindestens zwei Meter groß. Er war schwarz gekleidet und von Kopf bis Fuß mit Mehlstaub bedeckt. Er hatte sich ein dunkles Tuch vors Gesicht geschlagen. Unter einem Büschel wirrer schwarzer Haare blickten zwei ebenso schwarze Augen ausdruckslos auf Erik hinab.
Erik stolperte rückwärts, die Arme schützend vor sich ausgestreckt. Er riss seine Umhängetasche auf und griff hastig hinein. Er achtete nicht auf die Scherben, die ihm die Hand aufschnitten. Der Gedanke, das Messer zu finden, schrie so laut in seinem Kopf, dass er alles andere übertönte.
Seine Hand schloss sich um den glattpolierten Holzgriff des Messers. Er zog es aus der Tasche und klappte die Klinge mit zitternden Händen aus. „Keinen Schritt weiter“, sagte er. Er wollte schreien, aber seine Stimme klang heiser wie das Krächzen der Krähen.
Der Mann stand bewegungslos vor ihm. „Keinen Schritt“, sagte er mit tonloser Stimme.
Erik hob das Messer schützend vor seinen Körper. „Komm mir nicht zu nahe“, keuchte er.
„Nicht zu nahe“, echote der Mann und trat einen Schritt auf Erik zu.
Erik wich zur Treppe zurück. Er warf einen Blick über die Schulter zurück, ehe seine Hand sich um das Geländer schloss. Als er die Augen einen Moment später wieder nach vorn richtete, war der Mann in der Dunkelheit der Mühle versch wunden. Erik hörte schwere Schritte auf dem Mehl und dem Holz, die sich schnell entfernten. Der Lärm des Mahlwerks polterte in seinen Ohren wie das Rumpeln eines vorbeirasenden Zuges. Er sprang die
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