Der Teufel in Thannsüß (German Edition)
Gesichter leuchten bleich und verschwitzt unter den schweren Stahlhelmen hervor. Draußen nähern sich Schritte, und Erik wendet sich dem Eingang zu. Das Herz schlägt ihm bis zum Hals. Er hebt sein Gewehr.
„Runter mit den Waffen“, sagt eine vertraut e Stimme. „Ich bin’s nur.“
Eine Welle der Erleichterung spült über die Jungen hinweg. Einige lachen leise. Dann erscheint die vertraute Gestalt des Hauptmanns im Eingang. Heute Nachmittag in der Schule hat er ihnen Mut gemacht. Sie wissen jetzt, dass sie es schaffen können. Sie vertrauen ihm.
„Jungens“, sagt er. „Jetzt geht’s um die Wurst!“
Sie springen auf und nehmen Habachtstellung ein. Einer ruft „Heil Hitler!“, aber der Hauptmann winkt müde ab.
„Schon gut“, sagt er. „Setzt euch. Es wird bald losgehen.“ Er mustert jeden einzelnen von ihnen. Seine Augen sind glänzende Punkte in der Dunkelheit. „Seid ihr bereit?“, fragt er, und sie antworten im Chor: „Jawohl, Herr Hauptmann!“
„Gute Jungens“, sagt er, und blickt ihnen nacheinander in die Augen. „Nur nicht den Mut verlieren.“
Keiner der Jungen spricht. Sie warten gespannt darauf, dass ihr Hauptmann ihnen die Angst nimmt. Mit einem Satz, einem Wort, einer Geste.
„Habt Ihr ordentlich gegessen?“, fragt er.
Alle nicken.
„Gut“, sagt er, und er sieht aus, als wollte er noch viel mehr sagen, aber aus irgendeinem Grund schweigt er. Er blickt von einem zum anderen, wie um sich ihre Gesichter einzuprägen, die unter den zu großen Stahlhelmen und in der Düsternis des Bunkers kaum zu erkennen sind.
„Dann viel Glück“, sagt er schließlich nur. Er wendet sich abrupt ab und verschwindet in dem Labyrinth aus Gräben, das sie im Laufe der letzten Wochen mit vereinten Kräften in den steinigen Boden gegraben haben. Sie sehen ihm schweigend nach.
Eine heftige Detonation erschüttert den Bunker. Die Erde bebt, einige Bretter bersten, Putz rieselt von der Decke wie Schnee. Steine und Dreck prasseln auf das Dach und in den Graben vor dem Eingang. Erik blickt zu Hendrik hinüber und sieht, dass er zittert.
„Alles in Ordnung?“, fragt Erik so leise, dass nur Hendrik es hören kann. Hendrik blickt auf und schüttelt langsam den Kopf. Erst jetzt sieht Eri k die Tränen auf seinen Wangen.
„Lass uns abhauen“, flüstert Hendrik.
Erik presst die Lippen aufeinander. „Nur Mut“, sagt er leise. „Wir schaffen das schon.“ Es gelingt ihm, sich ein Lächeln abzuringen. „Du bist doch sonst so tapfer“, sagt er und zieht Hendrik den Stahlhelm ins Gesicht. Hendrik rückt den Helm wieder zurecht und blickt vorwurfsvoll zu seinem Bruder auf. Nach einer Weile lächelt er. Aber seine Lippen zittern. Draußen nähert sich das Gebrüll der Panzer.
„Es ist soweit“, sagt der älteste Junge ihrer Gruppe, steht auf und nimmt die Panzerfaust an sich. Die anderen Jungen erheben sich ebenfalls un d treten an die Schießscharten.
„Kn all sie ab“, keucht einer.
Blitze zucken durch die Nacht. Unter das tiefe Grollen der Geschütze mischt sich das Hämmern von Gewehrfeuer. Der Wind trägt Schreie durch die Finsternis zu ihnen. Die Nacht riecht nach Erde und zerrissenem Gestein, nach Feuer, Rauch und Schwefel.
Auf das anschwellende Pfeifen der Panzergranate folgt ein Augenblick der Stille. Dann stellt sich die Welt auf den Kopf. Die Wucht der Explosion reißt Erik von den Füßen und schleudert ihn gegen die Rückwand des Bunkers. Dann fällt er, und die Dunkelheit schlägt über ihm zusammen.
Als er die Augen öffnet, weiß er nicht, wie lange er weggetreten war. Sein Körper fühlt sich an, als sei jeder Knochen darin gebrochen. Er bleibt eine Weile reglos liegen und starrt auf den Boden, der aufgerissen und mit Trümmern und seltsamen schwarzroten Klumpen bedeckt ist. Er fragt sich, was die Klumpen wohl sein mögen. Sie sehen nicht wie Erde aus. Rauchfahnen tanze n über den Boden wie Derwische.
Schließlich schafft er es, aufzustehen. Seine Beine gehorchen ihm wie durch ein Wunder. Er blickt an sich hinunter. Seine Kleidung ist zerrissen und rußgeschwärzt. Sein Oberkörper und beide Arme sind mit Prellungen und Schürfwunden bedeckt. Er bewegt seine Füße und Arme, tastet seinen Körper ab, zählt seine Finger, und es scheint alles zu funktionieren, alles da zu sein. Als wäre es ihm erst jetzt möglich, die Welt um sich herum wahrzunehmen, taucht er plötzlich aus sich selbst auf.
Was er sieht, bringt ihn ins Wanken.
Der Boden des Bunkers
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