Der Teufel in uns - Mord in Bonn
und sagte lieber nichts dazu. Er kannte die Geschichte von der Mutter mit den religiösen Wahnideen. Und von den Auswirkungen auf die einzige Tochter.
Wie konnte man nach solchen Erfahrungen noch gläubig sein? Gottfried bewunderte Tina fast ein wenig dafür.
*
Wie immer, wenn Tina an ihre Mutter dachte, war sofort der Hass da. Das ganze Leben hatte sie ihr versaut!
Als Tina merkte, dass Gottfried sie beobachtete, fing sie an, an ihrem rechten Ohrläppchen herumzureiben. Was wollte er eigentlich von ihr? In seiner Gegenwart fühlte sie sich...na ja, nicht direkt unwohl, aber sie kannten sich seit gut sieben Jahren. Genau, sie waren Bekannte, mehr nicht! Wieso rückte er ihr plötzlich so auf die Pelle?
Früher fand sie es witzig, wenn Gottfried andere Leute derart penetrant anstarrte, dass die glatt ins Schwitzen kamen. Aber jetzt, wo er das gleiche bei ihr machte, wo der Blick dieser dunklen, geradezu glühenden Augen mit extrem irritierender Ausdauer auf ihrem Gesicht klebte, fühlte sich das überhaupt nicht witzig an, sondern unangenehm. Und doch gleichzeitig irgendwie aufregend.
„Machst du das eigentlich mit Absicht? Die Leute so anstarren?“, platzte es aus ihr heraus.
Gottfried tat so, als werde ihm sein Verhalten gerade erst bewusst. Aber das kaufte Tina ihm nicht ab. Jedenfalls schaute er schnell zum Fenster hinaus und murmelte: „Tschuldigung, ist so ’ne Angewohnheit von mir.“
Tina hatte ein paar Sekunden Zeit, sein Profil zu studieren, und sie stellte sich vor, wie er ohne den dicht wuchernden Vollbart aussehen würde. Garantiert nicht so finster und vermutlich ein paar Jahre jünger. Und wenn er statt Jeans und Karohemd einen eleganten Anzug über seinen hageren Körper ziehen würde, könnte er es glatt mit Jonas aufnehmen.
Tina warf einen Blick auf seine Hände, die nicht unbedingt nach ,Hausmeisterhänden‘ aussahen: kräftig, aber doch schlank und gepflegt. Sie stellte sich vor, wie er sie mit diesen Händen anfasste. Und die Vorstellung war nicht abschreckend. Nein, überhaupt nicht.
Die Frage war nur, ob sich der Mann wirklich für sie interessierte. Trotz der Narben, der psychischen und der körperlichen Narben, die sie entstellten. Und die vermutlich die Ursache dafür waren, dass sie Menschen immer wieder vor den Kopf stieß.
Gottfried wandte sich ihr wieder zu, und sein Lächeln war eine Spur melancholisch, als er fragte: „Hast du sonst noch was zu reparieren?“
Tina senkte den Blick, dachte bei sich: Ja, mein Leben, aber das schaffst du nicht! Und meinte vage: „Ach, bei mir geht immer mal was kaputt. Aber ich muss wirklich gleich weg.“
„In Ordnung. Ich trinke noch meinen Tee, und dann verschwinde ich. Aber jetzt mal unter uns: Was hältst du von Jonas´ Regel, dass wir uns keine Nachrichten angucken sollen? Kriegst du das hin?“
Aha, da war er ja wieder, der Mann mit dem Autoritätsproblem. Vielleicht lag es an seinem Beruf. In gewisser Weise war er der Herrscher über Schule und Schulhof. Sein Wort war Gesetz. Menschen gehorchten ihm. Erwachsene Menschen, denn das war keine Schule für Kinder. Tina hatte es oft genug miterlebt. Gottfried machte die Regeln für andere, nicht umgekehrt.
„Ja, mir fällt’s schwer, keine Nachrichten zu gucken, aber im Prinzip finde ich die Regel gut, sie soll uns schützen“, erklärte Tina und fügte hinzu, was sie dachte: „Manchmal verstehe ich nicht, was du überhaupt in der Gruppe willst. Immer stellst du alles in Frage, und immer zweifelst du erst mal alles an, was andere sagen. Du bist ein Einzelkämpfer, Gottfried.“
„Mag sein, Kristina. Aber ich werde den Eindruck nicht los, dass du genauso bist wie ich.“ Wieder dieser bohrende Blick.
Tina versuchte, ihn auszuhalten, und starrte zurück...während in ihrem Verstand etwas nachgab. Natürlich hatte der Mann irgendwie Recht, sie zweifelte und hinterfragte genau wie er.
Ja, außer bei Jonas.
Ach ja? Und was hatte sie gleich vor? Ein bisschen hinter Jonas herspionieren?
*
Bonn, Polizeipräsidium - 15.35 Uhr
Andreas sortierte Aussagen und machte sich Gedanken. Die Arbeitskollegen von Hugo Voss hatten unisono ins selbe Horn geblasen: Hugo sei ein toller Kollege und ein guter Mensch gewesen, der garantiert nicht fremdgehen würde.
Doch schließlich war Andreas auf einen Azubi gestoßen, der noch nicht ganz in diese geschlossene Gesellschaft integriert war, und der hatte unbekümmert geplaudert: dass der Chef nicht beliebt, sondern gefürchtet war, dass
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