Der Teufel kommt raus: Kriminalroman
arbeitet bei der Instandhaltung. Ich bin sein Bruder, und es handelt sich um einen Notfall.« In Wahrheit waren sie überhaupt nicht verwandt, doch Dillard musste unbedingt mit dem jüngeren Mann sprechen.
»Ich lasse ihn ausrufen. Einen Moment bitte.«
Fast eine Minute verstrich, was Dillard dazu veranlasste, auf seine Uhr zu sehen. Es war 9.03 Uhr. Ihm blieben noch zwei Minuten.
»Ja?«, antwortete Allen endlich, der atemlos und leicht ungehalten klang, weil man ihn am Arbeitsplatz behelligte.
»Rick, hier ist Mark«, sagte Dillard. »Du musst jetzt
sofort
gehen. Die Bullen sind hinter dir her. Was für einen fahrbaren Untersatz hast du?«
»Ich bin heute Morgen mit dem Fahrrad zur Arbeit gefahren. Warum? Was ist los? Wo brennt’s?«
»Erklär ich dir später, Rick«, sagte Dillard in einem Ton, in dem man vielleicht zu jüngeren Geschwistern sprach. »Hau sofort aus der Firma ab und fahr zu mir nach Hause. Ich sollte in etwa einer halben Stunde da sein.«
»Aber, Mark –«
»Und noch was, Rick«, unterbrach Dillard den jüngeren Mann, »erzähl niemandem von diesem Gespräch. Hast du verstanden? Niemandem!«
Dillard legte auf und lief zu den Bahngleisen.
Er kam etwa eine halbe Minute vor dem Pendlerzug dort an, der mit laut surrendem Elektromotor gleitend zum Stehen kam. Mark reichte dem Schaffner sein Ticket und sah sich nach einem Einzelplatz um. Als er an seinen gelangweilt aussehenden Mitpassagieren vorbeilief, überlegte Dillard, dass es noch nicht einmal zwölf Uhr mittags war und er schon einen heftigeren Adrenalinstoß gehabt hatte als diese verhätschelten, selbstzufriedenen Vorstadtbewohner wahrscheinlich in ihrem ganzen Leben.
Es hatte Monate akribischer Planung gebraucht, um bei der Baufirma, für die Dillard arbeitete, zwölf mickrige Stangen Dynamit zu stehlen. Diese kleine Menge Sprengstoff war bei Weitem nicht das, was Dillard für den Bombenanschlag auf das NAACP brauchte. Und jetzt war es auch noch weg, auf der Ladefläche eines Trucks, der zweifelsohne von einer ganzen Armee Polizisten umstellt war.
Der Pick-up gehörte Rick Allen, dem jüngsten (und beeinflussbarsten sowie impulsivsten) Mitglied von Dillards kleiner Truppe aus Neonazi-Gefolgsleuten. Schon bald würde jeder einzelne Polizeibeamte in Maryland nach Allen suchen, nachdem auf einen ihrer Kollegen geschossen worden war.
Dillard musste das regeln. Es bestand durchaus die Möglichkeit, dass seine Position als inoffizieller Anführer dieses lockeren Bündnisses dadurch geschwächt wurde.
Doch vorerst war Dillard von Erleichterung erfüllt, dass er sich nicht auf dem Weg zum Seziertisch oder in eine Gefängniszelle befand. Dafür war er dankbar.
Als der Pendlerzug in die Penn Station von Baltimore glitt, genoss Dillard noch ein Weilchen die angenehme Kühle in dem klimatisierten Wagen. Dann trat er auf den Bahnsteig und stieg, immer zwei Stufen auf einmal nehmend, die Betontreppe zum Bahnhof hinauf. In aller Seelenruhe spazierte er über den Marmorfußboden durch das Gebäude und trat ins Freie. Dort warteten mehrere Taxen in einer Reihe, und Dillard stieg in den ersten Wagen. Er atmete leise auf und schloss die Tür.
»4503 Baker Street bitte.«
Dillard schielte nach einem Streifenpolizisten, der am Eingang zur Pennsylvania Station einen schwarzen Bettler schikanierte, schaute in die entgegengesetzte Richtung und lachte, als das Taxi die Charles Street hinauffuhr.
KAPITEL VIER
Worüber Tom Merriwether auch so langatmig schwafelt, es muss furchtbar wichtig sein.
Ich weiß das, weil ich den Blick auf den Lokalredakteur des
Herald
geheftet habe, der eine allwissende, strenge Miene aufgesetzt hat, wie man sie sonst von Verkehrspolizisten und den Eltern missratener Kleinkinder kennt.
Auch ich trage eine Maske – die aufmerksame, ehrerbietige. In Wahrheit bin ich mit den Gedanken ganz woanders. Weil ich nichts von dem hören will, was Merriwether mir zu sagen hat. Es sei denn, sein verkniffener Mund formt die Worte »Gehaltserhöhung« oder »mehr Geld«. Aber die Wahrscheinlichkeit, dass das geschieht, tendiert gegen null.
Wenn er mich in sein Büro zitiert, dann meist, um mich zu kritisieren, und seine Kritik ist nie konstruktiv. Folglich respektiere ich Merriwether weder als Mensch noch als Journalist besonders. Und ich hege den leisen Verdacht, dass das auf Gegenseitigkeit beruht.
Deshalb dringen nur Bruchteile seiner Standpauke in mein Bewusstsein, wie bei einem Kurzwellenradio, dessen Lautstärke schwankt,
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