Der Teufel kommt raus: Kriminalroman
ganze Hände voll von dem Zeug in den Mund.
»Möchten Sie ein Sandwich?«
Yolanda beherrscht sich und knabbert jetzt gesittet an dem Popcorn, das sie eben noch wie verrückt inhaliert hat. »Nicht nötig. Ich brauch jetzt eine Mütze voll Schlaf.«
»Dann sind wir schon zwei. Ich lege Ihnen ein Handtuch, einen Waschlappen und noch ein paar Laken auf die Küchentheke. Bis morgen früh.«
»Gute Nacht.«
Als ich ins Bad gehe, um mich zu waschen, bin ich zufrieden mit mir und meiner Entscheidung. Doch Pietät und guter Wille schlagen gegen zwei Uhr am Samstagmorgen in Feindseligkeit um, als Jamal anfängt, im Schlaf unverständliches Zeugs zu schreien und auf einen imaginären Angreifer einzudreschen. Als ich zurück ins Schlafzimmer gehe, zittere ich vor Angst und Wut, weil ich ganz vergessen hatte, dass außer mir noch jemand in der Wohnung ist.
Um halb sechs passiert dasselbe noch mal.
Als um Viertel nach acht mein Wecker klingelt, kommt es mir vor, als hätte mir jemand Schmirgelpapier unter die Augenlider implantiert. Ich war über die Maßen liebenswürdig, höflich und gastfreundlich – doch jetzt ist es Zeit, meinen Gästen die Tür zu weisen.
Ich schaffe die zwei hier raus, melde mich krank und schlafe den ganzen Tag, denke ich völlig erschlagen. Mein Kopf hämmert vor Schlafentzug.
Als ich ins Wohnzimmer komme, liegt Yolanda mit ihren langen Gliedern ausgestreckt auf der Couch, aber Jamal ist nirgends zu sehen. Aus der Küche vernehme ich ein Rascheln.
Ich finde Jamal an der Vorratskammer vor, wo er im klitschnassen »Fruit of the Loom«-Minisweatshirt nach einer Tüte Kartoffelchips mit Sauerrahm- und Zwiebelgeschmack greift.
Die nach der Chipstüte ausgestreckte Hand erstarrt, steht Jamal mitten in einer rasch größer werdenden Ahornsirup-Lache und sieht mich mit großen Augen an wie ein im Scheinwerferlicht gefangenes, vor Angst wie gelähmtes Reh.
»Du kleiner – eins, zwei, drei, vier …«
Bei acht kommt Yolanda, sich den Schlaf aus den Augen reibend, um die Ecke getapst.
KAPITEL ZWÖLF
Für gewöhnlich treiben sich Orakel nicht in Frisörläden herum, aber Jerome Miller ist auch kein gewöhnliches Orakel.
Mr. Jerome ist mindestens sechzig und hat mir schon als Dreikäsehoch das Kraushaar vom runden Kopf geschoren. Ich weiß, dass er an die 136 Kilo wiegt – wie also kommt es, dass er durch Miller’s Frisörsalon schwebt wie ein 50 Kilo leichter Sechzehnjähriger?
Wenn ich seinen massigen Körper herumwuseln sehe, muss ich immer an einen behänden, Einrad fahrenden Zirkusbären mit Sonnenschirm denken. Aus Mr. Jeromes Munde ist nie die berühmte »Weh mir, Altwerden ist kein Zuckerschlecken«-Litanei zu hören.
Mit seinem Laden an der Ecke North und Greenmount Avenue, einem Innenstadtbereich, in den Engel, Weiße und schwarze Yuppies keinen Fuß zu setzen wagen, gehört Mr. Jerome seit Langem zum festen Inventar. Er ist ein Atavismus aus der Zeit, als ein Rap noch ein Klaps auf den Hintern einer Wuchtbrumme war.
Mr. Jerome hat seinen Beruf verfehlt. Total. Der Mann ist einfühlsamer als Oprah Winfrey. Irgendwas an ihm bringt dich dazu, dich vor Wildfremden zu öffnen, während er in deiner Seele bohrt und daran rumbastelt. Aber immer mit dem Ziel, dich zu stärken, dich zu einem besseren Menschen zu machen.
Solange es Mr. Jerome gibt, weiß ich, an wem kein Seelenklempner oder spiritueller Berater je auch nur 10 Cent verdienen wird.
Es ist kurz nach zehn Uhr morgens, und mir fallen fast die Augen zu, während ich warte, bis der Haarschnitt eines würdevoll aussehenden Herrn mit grauem Schnauzbart vollendet ist. Davor habe ich zu Hause rumgehangen, bis Yolanda die Sauerei in der Küche wieder beseitigt hat; dann hat sie Jamal zum Kinderarzt gebracht.
Statt danach mein müdes Haupt in die Kissen zu betten, habe ich beschlossen, zu Mr. Jerome zu gehen. Vor mir ist noch ein weiterer Kunde, ein ungeduldiger junger Schwarzer im billig aussehenden braunen Anzug. Stirnrunzelnd blickt er auf seine Uhr, als hätte er eines der 500 umsatzstärksten Weltunternehmen zu führen. Und das an einem Samstag.
»Hör dir bloß dieses Keuchen an – sogar deine
Luftröhre
hat Übergewicht. Wie du überhaupt Luft kriegst, ist mir schleierhaft.«
Eine mächtige braune Pranke dreht den Kopf des Kunden grob zur Seite, was der Birne des Mannes auf dem Stuhl das Aussehen eines Pfirsichs in einem Baseball-Handschuh verleiht. Eine elektrische Haarschneidemaschine gleitet zu einer
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