Der Teufel kommt raus: Kriminalroman
einen Papierstreifen am Hals des Firmenbosses, hebt den Frisörumhang in die Luft und lässt ihn so energisch herumschnellen, dass es knallt und die Überreste von Henrys Haarschnitt durch die Luft fliegen. Dann bindet Mr. Jerome ihn am Hals des Firmenbosses fest.
Kein »Entschuldigung, ich bitte um Verzeihung«, nichts. Ich gehe jede Wette ein, dass er bei seiner Frau nicht mal Schluckauf haben darf, ohne sich über die Maßen dafür zu entschuldigen. Deshalb tobt er sich im Frisörladen aus.
Jetzt brummt die Haarschneidemaschine um den Kopf des Firmenbosses wie eine wütende schwarze Riesenhornisse. Das geht etwa zwei Minuten so weiter, bis Mr. Jerome die Haarschneidemaschine wegzieht und sie fünfzehn Zentimeter vom Kopf des Firmenbosses entfernt in der Luft parkt.
»Ist Osama bin Laden wirklich tot, junger Mann?«, fragt Mr. Jerome mit einem Lächeln, das den Laden erstrahlen lässt.
Der Firmenboss verdreht ach so leicht die Augen und murmelt etwas Unverständliches. Die Haarschneidemaschine verlässt ihren Parkplatz in luftiger Höhe und macht sich wieder an die Arbeit. Wie ich schon sagte, Mr. Jerome ist nicht jedermanns Sache.
Als der Firmenboss geht, knallt er zwei Fünfdollarscheine auf den Stuhl und stürzt zur Tür hinaus. Obwohl ich noch nicht so alt bin, erinnere ich mich noch an eine Zeit, als Schwarze einander im Großen und Ganzen höflich behandelten, insbesondere wenn sie es mit Älteren zu tun hatten. Seit wann ist es in Mode, so verdammt unverschämt zu sein?
»Zehn Dollar näher an der Rente«, sagt Mr. Jerome, liest unbeirrt die Scheine auf und bringt sie zur Kasse. »Was kann ich für Sie tun, junger Mr. Billups?«
Das bringt mich aus dem Konzept, weil ich im Grunde einen Rat von ihm will und keinen Haarschnitt. »Vielleicht können Sie an den Seiten ein bisschen was wegnehmen.«
»Ich denke, das krieg ich hin.«
Die Haarschneidemaschine springt mit einem
Klack!
an und surrt schon bald um meine rechte Schläfe.
»Sie warn doch erst vor vier Tagen hier. Heißes Rendezvous?«, fragt Mr. Jerome lachend.
»Ähm, nein, Sir. Ich wünschte, es wäre so.«
»Hm-hm. Verstehe. Tja, dann muss Ihnen was zu schaffen machen.« Er legt die Hand an meinen Kopf und dreht ihn. SeineBerührung ist beruhigend und gibt mir kurz das Gefühl, wieder neun Jahre alt und völlig sorgenfrei zu sein.
Ich fühle mich sogar noch besser, als ich anfange, mir die Geschichte mit Yolanda und ihrem spontanen Besuch von der Seele zu reden. Zu den anonymen Anrufen will ich erst später kommen.
»Ich möchte Sie was fragen«, sagt Mr. Jerome, nachdem er mich eine Weile hat plappern lassen. »Würden Sie die Frau ein Weilchen bleiben lassen, wenn sie allein wäre? Für ein paar Tage?«
»Keine Ahnung. Vielleicht ein Weilchen. Warum?«
»Warum würden Sie sie bei sich aufnehmen?«, fragt Mr. Jerome und ignoriert meine Frage.
Darüber habe ich noch nicht nachgedacht. »Keine Ahnung – Sie wissen schon …«
»Nee, weiß ich nicht.«
»Weil sie ein anständiger Mensch zu sein scheint … Ich weiß ganz sicher, dass sie Arbeit hat. Und sie ist superhübsch. Die Frau hat’s drauf.«
»Warum sollte es dann was anderes sein, nur weil sie einen Sohn hat? Ist das das Problem? Einer hübschen Frau würden Sie helfen, aber nicht, wenn sie einen kleinen Jungen hat, der ebenfalls vom Glück verlassen ist?«
Bevor ich herkam, fand ich, dass es zu weit ginge, sogar verdammt unvernünftig wäre, Yolanda ein paar Tage bei mir wohnen zu lassen.
Außerdem hab ich gern meinen Freiraum. Daran ist nichts auszusetzen.
Doch während ich hier sitze und Mr. Jerome zuhöre, finde ich es vernünftig, zumindest in Betracht zu ziehen, ihr noch ein wenig mehr Hilfe anzubieten.
»Natürlich sollen Sie nichts Unüberlegtes tun. Sie müssen ein Auge auf die Frau haben«, sagt Mr. Jerome, der meine Gedanken liest. »Aber wenn sie wieder geht, haben Sie etwas Nützliches und Lohnenswertes getan. Heutzutage haben Schwarze so große Angst voreinander und helfen einander nur ungern. Was sagt das über uns aus?«
Seine eigentliche Frage lautete: Was sagt es über Darryl Billups aus, wenn ich Yolanda und ihren Sohn auf die Straße setze?
»Ich wette, Sie machen sich Sorgen, was Ihre Mama und Ihr Daddy dazu sagen, stimmt’s? Und Ihre Kumpels. Was ist am wichtigsten? Das ist es, was Sie entscheiden müssen.«
Er hat Recht. Doch ausnahmsweise hat er mir die Entscheidung nicht leichter gemacht. Als ich Mr. Jerome von den Drohungen gegen das
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