Der Teufel kommt raus: Kriminalroman
Wortlos hole ich einen frischen Waschlappen aus dem Schrank, lasse einen Schwall kaltes Leitungswasser darüber laufen und wickele einen Eiswürfel damit ein.
Die provisorische kalte Kompresse reiche ich Yolanda, die sie ohne ein Wort des Dankes entgegennimmt und geistesabwesend damit das Auge ihres Sohnes betupft.
Der fängt sofort an, sich zu wehren, windet sich wie ein aufgespießter Katfisch und stößt mit dem Kopf gegen die Brust seiner Mutter, um sich aus ihrer Umarmung zu lösen. Zudem fängt er an zu wimmern, der erste Laut, den er von sich gibt, seit er meine Wohnung betreten hat.
Ich trete auf das aufgeregte Paar zu und hocke mich vor Yolanda.
»Würden Sie mir bitte erklären, was hier vor sich geht?« Ich komme mir langsam vor wie ein Eindringling im eigenen Haus. Und warum muss ich erst um eine Erklärung bitten? Das hätte das Erste sein sollen, das Yolanda unaufgefordert über die Lippen kommt.
Ihre Unterlippe zittert, während die obere unbeweglich bleibt, als wäre sie mit einem anderen Nervensystem verbunden. Ihr ungeheurer Stolz macht es Yolanda unmöglich, vor mir zu weinen; außerdem will sie vor ihrem Sohn keine Schwäche zeigen.
Aber die Emotionen eines furchtbar aufreibenden Tages sind kurz davor, aus ihr herauszubrechen. Sie atmet tief durch und hebt ihren Sohn von ihrem Schoß.
»Können wir bitte später darüber reden?«, fragt sie schwach und starrt dabei auf den Boden.
»Nein. Auf keinen Fall. Sie sagen mir jetzt, woher Sie meine Adresse haben und warum Sie nachts um halb elf mit einem kleinen Jungen hierherkommen, der aussieht, als hätte er an einem Boxwettkampf teilgenommen. Sofort!«
Ich habe unwillkürlich zu schreien angefangen, und Yolanda zuckt zurück, als übten meine Worte körperliche Gewalt aus.
»Darf ich mal Ihr Bad benutzen?«
Ohne eine Antwort abzuwarten, steht Yolanda auf und steuert schnurstracks auf mein Badezimmer zu, als gehöre die Bude ihr. Selbst in ihrer schwärzesten Stunde gelingt es ihr noch, gebieterisch zu sein.
Das Belüftungsgebläse im Bad springt an, sobald sich die Tür schließt, und ich höre zwei Mal kurz hintereinander die Toilettenspülung.
Der kleine Junge erhebt sich wie ein alter Mann mit Arthritis und folgt seiner Mutter auf fußlahmen Beinen. Er steht vor der Badezimmertür und starrt mich mit großen, bangen Augen an. Er erinnert mich an das restlos verängstigte Äffchen eines Leierkastenmannes.
»Wie heißt du, kleiner Mann?«
Ich strecke die Hand aus und gehe auf ihn zu.
»Mama«, flüstert er so leise, dass ich mir zunächst gar nicht sicher bin, dass er etwas gesagt hat. »Mama, Mama, Mama«, schreit das Kind jetzt laut, als ich näher komme. Da es ihm noch nicht reicht, mit seinem Geschrei meine Nachbarn zu stören, wummert der Junge nun auch noch gegen die Tür, dreht wie wild am Messingknauf und hinterlässt schmutzige Patschehand-Abdrücke darauf.
Mittlerweile ist mir herzlich gleichgültig, was Yolanda zu sagen hat: Es ist das Beste, wenn sie und der halb durchgeknallte Zwerg wieder gehen.
»Jamal, warte einen Moment, Schätzchen«, befiehlt eine matte, bebende Stimme hinter der Tür. »Gib Mommy nur eine Sekunde, okay?«
Als Yolanda wieder herauskommt, sind ihre Augen rot, verquollen und feucht, und sie weicht meinem Blick aus. Trotzdem ist sie immer noch attraktiv. Erst jetzt fällt mir auf, dass ihr rechtes Knie zerschrammt ist und Blut durch ein Loch in ihrer Jeans sickert.
»Was haben Sie im Bad gemacht?«, frage ich anklagend. »Hat das alles was mit Drogen zu tun?«
In Wahrheit hat Yolanda sich ins Bad verzogen, damit ich sie nicht weinen sehe. Die Welt hat ihr heute übel mitgespielt; und jetzt unterstellt man ihr auch noch, drogensüchtig zu sein.
»Komm, Schätzchen«, sagt sie, klemmt sich Jamal unter den Arm und steuert auf die Tür zu. »Diese Scheiße lassen wir uns nicht bieten.« Bevor ich weiß, wie mir geschieht, ist sie zur Tür raus und stapft die Treppe hinab.
Verdammt, das fehlte mir noch.
Ich wohne in einem ausgesprochenen Yuppie-Häuserblock, doch zu dieser späten Stunde wimmelt es auf der Straße und in der umliegenden Wohngegend von Möchtegern-Gangstern aus nahe gelegenen Sozialbauten. Für die sind Yolanda und ihr Sohn ein gefundenes Fressen, wenn sie ohne Auto unterwegs sind.
Fluchend laufe ich zum Herd, um die Flamme unter dem Teekessel auszudrehen, und renne zur Tür, um Yolanda noch zu erwischen. Von anständigen, gottesfürchtigen Eltern erzogen worden zu sein erweist sich
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