Der Teufel trägt Prada
erfuhr von diesen Partys immer nur hinten herum, wenn mein Telefon den ganzen Tag nicht stillstand, weil irgendwelche
unbedeutenden Leute hofften, durch mich an eine Einladung zu kommen. Offiziell wurden wir aus der Redaktion selbstredend nicht eingeladen, weil wir sowieso nicht kommen würden. Dann nicht genug damit, dass die Runway -Girls jeden verachteten, terrorisierten und diskriminierten, der nicht zu ihnen gehörte – sie errichteten auch noch innere Klassenschranken.
Hinter der Akquise-Abteilung erstreckte sich ein schier endlos langer, schmaler Korridor, der irgendwann in eine winzige Teeküche mündete. Hier gab es diverse Sorten Tee und Kaffee und sogar einen Kühlschrank, für den Fall, dass man sich sein Mittagessen von zu Hause mitbringen wollte. Diesen Service hätte man sich sparen können, da der einzige Kaffee, mit dem sich die Angestellten bei Kräften hielten, von Starbucks kam und die Mahlzeiten mit Bedacht in der Cafeteria ausgesucht oder bei einem Lieferservice geordert wurden. Aber die Küche hatte einen lieben, fast rührenden Touch, als ob Elias-Clark sagen wollte: »Was wir nicht alles für euch tun! Wir geben euch Lipton-Tee und Süßstoff und eine Mikrowelle, falls ihr euch mal etwas zu essen aufwärmen wollt. Wir sind eben eine große, glückliche Familie!«
Um 7.05 landete ich endlich in unserem Trakt, so müde, dass ich kaum noch kriechen konnte. Worauf der Tag erst richtig losging: Ich schloss Mirandas Büro auf. Bevor ich die Festbeleuchtung einschaltete, gönnte ich mir jeden Morgen einen kostbaren Augenblick im Dunkeln. Ich blickte auf die Lichter der Großstadt und fühlte mich wie in einen New-York-Film versetzt, vorzugsweise einen von den Streifen, wo die glückliche Heldin auf der Dachterrasse einer Luxuswohnung ihrem Lover in die Arme sinkt. Von der Sorte gibt’s ja jede Menge. Jedenfalls lag mir die Metropole zu Füßen. Dann drückte ich auf den Lichtschalter, und mein Tagtraum war zu Ende. Das kurze morgendliche Hochgefühl, in der Stadt der unbegrenzten Möglichkeiten zu sein, verschwand. Stattdessen grinsten mir von einem Foto die identischen Zwillingsgesichter von Caroline und Cassidy entgegen.
Als Nächstes sperrte ich den eingebauten Kleiderschrank im Vorzimmer auf, in den ich Mirandas Mantel aufhängte (und auch meinen, wenn sie nicht zufälligerweise Pelz trug. Miranda konnte es nämlich gar nicht leiden, wenn ihr kostbarer Nerz neben einem von unseren armseligen Wollmänteln hing). Hinter der Tür bewahrten wir außerdem alles auf, was sonst so anfiel: ausrangierte Mäntel und Kleider im Wert von zigtausend Dollar, Sachen aus der Reinigung, die noch zu Miranda nach Hause gebracht werden mussten, und mindestens 200 der berühmt-berüchtigten weißen Hermés-Schals. Anscheinend wurde das schlichte weiße Tuch seit dem letzten Jahr nicht mehr hergestellt. Ein Verantwortlicher von Hermés hatte tatsächlich angerufen, um das Auslaufen der Produktion anzukündigen und sich für diese Maßnahme persönlich zu entschuldigen. Miranda hatte ihn kurz und bündig abgefertigt und anschließend die gesamten Restbestände aufgekauft. Von den etwa 500 Schals, die zwei Jahre vor meiner Zeit in die Redaktion geliefert worden waren, war nicht einmal mehr die Hälfte übrig. Miranda ließ sie überall liegen, im Restaurant, im Kino, auf Modenschauen, bei Besprechungen und im Taxi. Sie vergaß sie im Flugzeug, in der Schule ihrer Töchter, auf dem Tennisplatz. Natürlich ging sie ohne ihren eleganten Hermés-Schal nie aus dem Haus, aber das erklärte noch lange nicht, wo die Dinger alle abblieben. Ob sie sie als Taschentuch benutzte? Ob sie sich lieber Notizen auf Seide machte statt auf Papier? Auf jeden Fall schien sie der festen Auffassung zu sein, dass es sich dabei um ein Wegwerfprodukt handelte, und niemand traute sich, sie eines Besseren zu belehren. Elias-Clark hatte für jeden Schal ein paar hundert Dollar geblecht, und Miranda verschliss sie fast so schnell wie Papiertaschentücher. Wenn sie so weitermachte, würde sie in spätestens zwei Jahren schalmäßig auf dem Trockenen sitzen.
Bis jetzt standen jedoch noch jede Menge der stabilen orangefarbenen Schachteln bei uns im Wandschrank. Alle drei oder vier Tage, wenn Miranda zum Essen ging, sagte sie: »Aan-dreh-aa,
ich brauche einen neuen Schal.« Ich fand es ungemein tröstlich, dass ich längst die Kurve gekratzt haben würde, wenn sie irgendwann tatsächlich ohne einen einzigen Schal dastand. Meine unbekannte
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