Der Teufel trägt Prada
durch einen finsteren Blick. Oft genug hatte ich den Versuch gestartet, sie auf die ganze unselige Geschichte mit Freak Boy anzusprechen, aber irgendwie hatten wir in letzter Zeit nie wirklich Zeit und Ruhe für ein Gespräch unter vier Augen gefunden. Wann immer ich das Thema anschnitt, lenkte sie sofort ab. Woraus ich schloss, dass es ihr über alle Maßen peinlich war. Der Typ war ein Ekelpaket, so weit stimmten wir überein, aber dass letztlich das Saufen an der ganzen Misere Schuld hatte, dazu wollte sie sich partout nicht äußern.
»Na ja, anscheinend habe ich ihn irgendwann an dem Abend vom Au Bar aus angerufen und gebeten dahin zu kommen«, sagte sie, ohne mich anzusehen. Stattdessen konzentrierte sie sich ganz darauf, per Fernbedienung die elegische CD von Jeff Buckley in Gang zu setzen, die meinem Gefühl nach ohne Unterlass in unserer Wohnung dudelte.
»Und? Ist er gekommen und hat dich mit – äh – jemand anderem reden sehen?« Ich versuchte mich mit Kritik zurückzuhalten, um sie nicht noch weiter von mir wegzustoßen. Ganz offensichtlich ging ihr eine Menge durch den Kopf – die Probleme an der Uni, das Trinken, der scheinbar uferlose Nachschub an Kerls -, und ich wollte so sehr, dass sie sich irgendjemandem öffnete. Bisher hatte sie mir nie irgendwas verheimlicht, vielleicht auch nur, weil ich ihre einzige Vertraute war, aber in letzter Zeit war von ihr nicht viel rübergekommen. Vier Monate
waren seit jenem Ereignis verstrichen, und erst jetzt brachten wir es aufs Tapet. Komisch eigentlich.
»Nein, nicht so ganz.« Sie klang bitter. »Er ist von Morningside Heights hingefahren, aber da war ich schon nicht mehr in der Bar. Dann hat er mich offenbar auf dem Handy angerufen, und Kenny hat ihn wohl ziemlich rüde abgefertigt.«
»Kenny?«
»Das Subjekt , das ich im Frühsommer hier angeschleppt habe, weißt du noch?« Jetzt lächelte sie, allem Sarkasmus zum Trotz.
»Ah ja. Ich schätze mal, der kleine Freudianer war begeistert?«
»Und wie. Was soll’s. Wie gewonnen, so zerronnen, oder?« Husch-hoch-und-weg, war sie in der Küche, füllte ihr Glas aus der halb leeren Flasche »Ketel One« nach, garnierte es mit einem Spritzer Mineralwasser und gesellte sich wieder zu mir auf die Couch.
Eben wollte ich sie so unaufdringlich wie möglich fragen, warum sie sich Wodka in Reinform hinter die Binde goss, wenn sie am nächsten Tag einen Zeitschriftenbeitrag abliefern sollte, doch da ertönte der Summton von unten.
»Wer ist es?«, fragte ich bei John nach, den Finger auf dem Knopf.
»Mr. Fineman hätte gern Ms. Sachs gesprochen«, verkündete er, ganz in Amt und Würden angesichts der Anwesenheit Dritter.
»Ach was? Oh, super. Schicken Sie ihn rauf.«
Lily bedachte mich mit einem Blick unter hochgezogenen Augenbrauen. Nicht schon wieder dieser Text, dachte ich. »Nun krieg dich mal wieder ein«, ihre Stimme triefte vor Sarkasmus. »Freust du dich denn gar nicht, dass dein Freund so unerwartet bei dir hereinschneit?«
»Doch, doch.« Meine trotzige Erwiderung war gelogen, und wir wussten es beide. In den letzten paar Wochen hatte es sich mit Alex ziemlich zugespitzt. Ziemlich krass zugespitzt. Wir hatten
alle gefährlichen Klippen einer festen Beziehung bislang geschickt umschifft und wussten nach fast vier Jahren mehr oder weniger genau, was der andere hören wollte oder zu tun hatte. Doch angesichts meiner gnadenlosen Arbeitszeiten hatte er sich in der Schule zum Engel vom Dienst gemausert, sprich: sich freiwillig als Betreuer, Nachhilfelehrer, Mentor und Leiter jedes nur denkbaren Projekts gemeldet – und was wir in der verbleibenden, gemeinsamen Zeit dann noch zustande brachten, war ungefähr so aufregend wie das Leben eines Ehepaars fünf Jahre nach der Silberhochzeit. Wie unsere Beziehung erst aussehen mochte, wenn ich mein Jahr abgedient hatte – das wollte ich mir zurzeit lieber nicht vorstellen.
Trotzdem. Jetzt hatten das Thema schon zwei mir nahe stehende Personen ausgesprochen – erst Jill (die mir gestern Abend am Telefon deswegen die Hölle heiß gemacht hatte), und nun auch noch Lily, die mir zu verstehen gab, dass sie in Alex und mir nicht mehr das Traumpaar sah – und die, zugegeben, selbst in ihrem beschickerten Zustand ganz klar merkte, dass meine Freude über Alex’ Besuch sich in Grenzen hielt. Mir grauste es vor der überfälligen Aussprache wegen Paris und dem nachfolgenden, unausweichlichen Streit, den ich gern noch ein paar Tage hinausgeschoben hätte. Am
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