Der Teufel trägt Prada
Emily laut meinen Namen rief.
»Andrea! Sie kommt. Sie ist in zehn Minuten da!«
»Was? Wie bitte? Was hast du gesagt?«
»Miranda ist auf dem Weg in die Redaktion. Jetzt zählt jede Sekunde.«
»Auf dem Weg in die Redaktion? Aber ich dachte, sie kommt erst am Samstag aus Frankreich wieder.«
»Dann wird sie ihre Pläne wohl geändert haben. Los, mach voran! Lauf nach unten, hol ihre Zeitungen und leg sie ihr so hin, wie ich es dir gezeigt habe. Wenn du damit fertig bist, putzt du den Schreibtisch ab und stellst ihr auf die linke Seite ein Glas San Pellegrino hin, mit Eis und einer Limonenscheibe. Und überprüf noch mal ihr Klo, ob auch nichts fehlt, okay? Los! Sie sitzt bereits in der Limousine, und das heißt, je nachdem, wie dicht der Verkehr ist, müsste sie in spätestens zehn Minuten hier sein.«
Ich zischte wie eine Rakete aus dem Vorzimmer und hörte noch, wie Emily ein paar Warnanrufe absetzte: »Sie ist im Anmarsch – sag allen Bescheid!« Während ich wie in Siebenmeilenstiefeln zum Fahrstuhl hetzte, verbreitete sich die Schreckensnachricht wie ein Lauffeuer: »Emily sagt, sie ist im Anmarsch!«, und: »Miranda kommt!«, tönte es von allen Seiten, einmal sogar unterlegt von dem markerschütternden Schrei »Sie ist wieder daaaaaaaaaaaaa!« Die Assistentinnen ordneten hektisch die Modelle auf den Ständern, die Redakteurinnen stürzten in ihre Büros, schleuderten ihre Ballerinas in die Ecke und zwangen ihre Füße in Highheels, zogen sich die Lippen nach, curlten ihre Wimpern
und rückten sich die BHs zurecht. Als die Tür der Herrentoilette aufging, erspähte ich James, der sich mit irrem Blick die Schultern seines schwarzen Kaschmirpullovers abklopfte und zwischendurch ein paar Pfefferminzbonbons einwarf. Keine Ahnung, wie er überhaupt davon erfahren hatte, dass Miranda nahte, es sei denn die Männer hatten Lautsprecher auf dem Klo.
Gern hätte ich mir das Chaos in dem aufgescheuchten Hühnerhaufen noch ein bisschen länger angesehen, aber mir blieben nicht einmal zehn Minuten, um mich innerlich auf meine erste Begegnung mit Miranda in meiner Funktion als Assistentin einzustellen. Und ich hatte nicht vor, mich gleich mit einem Fehler einzuführen. Ich schmiss den Turbo an und rannte weiter.
»Andrea, hast du schon gehört? Miranda ist im Anmarsch«, rief Sophy vom Empfang, als ich an ihr vorbeisauste.
»Ja, ich weiß. Aber wieso weißt du es auch schon?«
»Weil ich immer alles weiß. Und jetzt Tempo. Denn eines steht fest: Eine Miranda Priestly lässt man nicht warten.«
Ich enterte den Aufzug und dankte ihr. »In drei Minuten bin ich mit den Zeitungen wieder da!«
Die beiden Frauen im Fahrstuhl machten völlig entgeisterte Gesichter, und erst da fiel mir auf, dass ich geschrien hatte.
»Entschuldigung«, schnaufte ich. »Aber wir haben gerade erfahren, dass unsere Chefin auf dem Weg in die Redaktion ist. Damit hatten wir nicht gerechnet, und jetzt ist bei uns ein bisschen die Hektik ausgebrochen.« Wie kam ich bloß dazu, mich vor diesen Leuten zu rechtfertigen?
»Der Wahnsinn, dann arbeiten Sie doch bestimmt für Miranda Priestly. Lassen Sie mich raten. Sie sind Mirandas neue Assistentin? Andrea, richtig?« Die langbeinige Brünette bleckte ein strahlend weißes Piranhagebiss. Auch ihre Freundin sah mich plötzlich um einiges freundlicher an.
»Ja, stimmt. Andrea.« Ich wiederholte meinen Namen, als ob er gar nicht zu mir gehörte. »Ja, Sie haben Recht. Ich bin Mirandas neue Assistentin.«
Wir kamen in der Lobby an, die Tür glitt auf und ich quetschte mich an den beiden Frauen vorbei in die marmorne Halle. Eine der beiden rief mir noch nach: »Sie sind ein echter Glückspilz, Andrea. Miranda ist eine tolle Frau, und Sie haben einen Job, für den Millionen junger Frauen ihr Leben geben würden!«
Ich kurvte haarscharf um einen Trupp mürrischer Rechtsanwälte herum und wäre beinahe frontal in den Zeitungskiosk geschliddert. Herr über dieses Reich der Hochglanzmagazine, zuckerfreien Süßigkeiten und kalorienarmen Erfrischungsgetränke war ein kleiner Kuwaiter namens Ahmed, bei dem Emily mich im Zuge meines Trainings schon vor Weihnachten eingeführt hatte und der mir nun, wie ich hoffte, zum Retter in der Not werden würde.
»Halt!«, rief er, als ich anfing, die Zeitungen aus dem Ständer zu rupfen. »Sind Sie nicht Mirandas neue Assistentin? Dann kommen Sie mal her zu mir.«
Ahmed bückte sich und kramte in einem Fach unter der Kasse herum. Mit hochrotem Kopf tauchte er
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