Der Teufel und die Lady
solche Unternehmungen nicht ausgelegt, und hätte Evelinde sich nicht mit beiden Händen an dem Ast festgehalten, der über ihr hing, wäre sie abgeglitten.
»Oh, danke«, murmelte sie der Stute sarkastisch zu, als sie endlich genügend Halt gefunden hatte, um nach unten zu schauen und zu sehen, dass Lady einige Schritte zurückgewichen war, fort aus dem Gefahrenbereich. »Wirklich gut zu wissen, dass ich bei diesem Unterfangen, uns beide zu retten, auf dich zählen kann.«
Kopfschüttelnd lehnte sich Evelinde gegen den Stamm und hielt sich mit einer Hand fest, während sie erst den einen und dann den anderen Fuß hob, um ihre Schuhe abzustreifen und zu Boden fallen zu lassen.
Danach fühlte sie sich sicherer und richtete ihre ganze Aufmerksamkeit auf das schwierige Emporklettern. Es war eine höchst lehrreiche Erfahrung. Nie hätte Evelinde gedacht, dass es eine derart heikle Sache sein würde. Die Äste wuchsen schief und krumm, sodass zwischen einigen zu wenig, zwischen anderen hingegen zu viel Raum war, was das Erklimmen alles andere als leicht machte. Evelinde schrammte sich immer wieder die Haut auf, war jedoch so entschlossen, dass sie sich von einem gelegentlichen Kratzer an Ellenbogen oder Knie nicht aufhalten ließ.
Als sie glaubte, etwa auf halber Höhe des Baumes angelangt zu sein, hielt sie inne. Sie blickte erst nach oben und dann nach unten und stellte enttäuscht fest, dass sie die Hälfte nicht einmal annähernd hinter sich gebracht hatte. Mit einem Mal fand sie ihre brillante Idee nicht mehr ganz so brillant.
Seufzend begutachtete Evelinde die Äste über ihrem Kopf, um herauszufinden, welchen sie als nächsten ergreifen sollte. Sie hatte sich gerade für einen entschieden, als das Knacken eines Zweigs sie stocken ließ. Sie sah sich um. Wäre sie in diesem Moment mit Klettern beschäftigt gewesen, so hätte sie das leise Geräusch wahrscheinlich nicht vernommen. Doch sie hatte es gehört – und auch Lady, bemerkte sie, denn die Stute tänzelte wie vorhin unruhig und blickte in die Richtung, aus der das Geräusch gekommen zu sein schien.
Einmal mehr überlief Evelinde ein Schauer. Sie musterte prüfend die Bäume um sie her, doch so angestrengt sie auch in das Dämmerdunkel des Dickichts spähte, konnte sie doch nicht ausmachen, was das Knacken ausgelöst hatte. Nach einer Weile gab sie widerstrebend auf und blickte zum Wipfel ihres Baumes hoch. Wenn sie nur hoch genug klettern konnte, um zu sehen, in welche Richtung sie sich wenden musste, dann wären sie und Lady bald schon aus diesem Wald heraus.
Evelinde biss entschlossen die Zähne zusammen, setzte ihren Aufstieg fort und hatte gerade den nächsten Ast erreicht, als plötzlich etwas an ihr vorbeisirrte und sie links von sich einen dumpfen Schlag hörte. Erschrocken ließ sie mit der linken Hand den Ast los, an dem sie sich festgehalten hatte, und wollte sich umwenden, um zu sehen, was den Laut verursacht hatte, als das Holz, auf dem sie stand, unter ihrem Gewicht brach.
Evelinde schrie auf und griff verzweifelt mit der freien Hand nach irgendeinem Halt, wobei ihre Finger einen dünnen Zweig zu fassen bekamen, an den sie sich verzweifelt klammerte, während sie gleichzeitig mit den Füßen nach etwas Solidem tastete. Als sie etwas fand, durchflutete sie Erleichterung. Langsam stieß sie den Atem aus, den sie angehalten hatte, umschlang den Baum fest mit beiden Armen und drückte ihre Wange an die raue Rinde, während sie darauf wartete, dass ihr Herzschlag sich beruhigte. Dann sah Evelinde nach unten, nur um festzustellen, dass ihre Stute sich noch ein paar Schritte entfernt hatte, um dem fallenden Ast auszuweichen, und ihre Herrin nun argwöhnisch beäugte.
»Sieh mich nicht so an, das ist alles deine Schuld«, murmelte Evelinde und lehnte sich dann mit einem Seufzer wieder an den Baum.
Nie wieder, schwor sie sich im Stillen, würde sie diesen Wald noch einmal allein betreten. Dann blickte sie zu dem Zweig hinauf, den sie hatte greifen können. Ihr Herzschlag, der sich gerade erst beruhigt hatte, schien nun gänzlich auszusetzen, als sie erkannte, dass es gar kein Zweig war, an dem sie sich da festhielt, sondern der Schaft eines Pfeils.
Das brachte Evelinde so sehr aus der Fassung, dass sie ihren Griff unwillkürlich löste, wodurch sie sich nur noch mit der rechten Hand festhielt, mit der sie den anderen Ast umklammerte. Erschrocken griff sie auch mit der nun freien Hand danach und fand erleichtert Halt, bis …
»Frau?«, rief
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