Der Teufel und die Lady
jemand herauf.
Evelinde schloss kurz die Augen, bevor sie den Kopf senkte, um nach unten schauen zu können. Zweifelsohne hatte ihr Gemahl sie aufgestöbert. Eben gerade schwang er sich von seinem Pferd, das er neben Lady zum Stehen gebracht hatte.
Na großartig, dachte Evelinde beklommen. Warum nur tauchte er immer dann auf, wenn sie sich in einer peinlichen Lage befand?
»Was tut Ihr da, seid Ihr närrisch?«, brüllte Cullen vom Fuße des Stamms zu ihr hinauf.
Wo habe ich etwas Derartiges nur schon einmal gehört?, dachte Evelinde ungeduldig und räusperte sich. »Oh, nichts, Mylord«, rief sie dann hinunter. »Ich genieße nur einen Nachmittag unter freiem Himmel.«
»Ihr hängt in einem Baum herum, Frau«, stellte Cullen knurrend fest. »Nur an Euren Händen.«
»Ich gönne meinen Beinen eine Pause«, erwiderte Evelinde schlagfertig, während sie mit den Füßen umhertastete, bis sie endlich einen Ast gefunden hatte. Sie platzierte erst einen, dann den anderen Fuß dort und seufzte erleichtert auf.
»Kommt sofort herunter!«
Ihr Gemahl klang wütend, bemerkte Evelinde. Sie sah sich nach einem Ast um, der ihr für ihren nächsten Tritt nach unten am besten geeignet erschien.
»Lasst einfach los, ich fange Euch auf«, wies Cullen sie an.
»Nay, ich bin alleine heraufgeklettert und kann ebenso gut alleine wieder hinunterklettern«, versicherte Evelinde ihm und tat genau dies. Allerdings nicht allzu schnell. Sie war nicht sehr erpicht darauf, sich schon wieder seinem Unmut zu stellen, und hoffte, er werde sich beruhigen, wenn sie ihm ein wenig Zeit gewährte.
Evelinde erreichte den niedrigsten Ast und setzte sich vorsichtig darauf nieder in der Absicht, sich von dort abzustoßen und mit den Füßen auf dem Boden zu landen, als sie von starken Händen ergriffen und behutsam abgesetzt wurde.
»Ich danke Euch«, murmelte sie, als sie stand.
»Gern geschehen«, brummte Cullen. »Also«, schnaubte er dann, »was zum Teufel treibt Ihr da?«
Evelinde öffnete den Mund, schloss ihn dann aber wieder und räusperte sich. »Ich bin auf den Baum geklettert«, erklärte sie.
»Ja, das habe ich gesehen«, grollte er ungeduldig. »Warum?«
»Weil ich mich verirrt hatte«, gab Evelinde widerwillig zu, bückte sich nach ihren Schuhen und rauschte an Cullen vorbei zu Lady hinüber. »Ich wollte von dort oben aus sehen, in welcher Richtung die Burg liegt, anstatt bis ans Ende meiner Tage durch diesen Wald zu irren wie irgendein dummer englischer Geist, der in Eurem verfluchten schottischen Hochland gefangen ist.«
Auf diese Erklärung folgte ein kurzes Schweigen. Dann war es an Cullen, sich zu räuspern. »Das … war klug«, gab er zu.
Evelinde blieb neben Lady stehen und wandte sich unsicher um. Sobald sie merkte, dass ihr Gemahl ihr gefolgt war, trat sie einen Schritt zurück und sah zu ihm auf. »Tatsächlich?«, fragte sie.
»Aye. «Offenbar hatte Cullen nicht vor, das Lob auszuweiten, doch nichts in seiner Miene ließ darauf schließen, dass er sie verspottete.
Evelinde kaute auf ihrer Unterlippe und blickte zu Cullens Pferd hinüber. »Wart Ihr es, den ich im Wald gehört habe?«
»Ist anzunehmen«, sagte Cullen schulterzuckend.
Evelinde dachte daran, wie sehr sie sich gefürchtet hatte und funkelte ihren Mann zornig an. »Warum habt Ihr dann nicht einfach gerufen, um Euch zu erkennen zu geben, anstatt mich zu verfolgen und zu Tode zu erschrecken?«, fuhr sie ihn an.
»Euch zu verfolgen?« Cullen hob fragend die Brauen. »Ich habe Euch nicht verfolgt. Ich bin auf dem Rückweg zur Burg auf Eure Stute gestoßen und habe Euch erst dort im Baum gesehen, als ich anhielt.«
Evelinde schaute stirnrunzelnd zu der Stelle zwischen den Blättern hoch, an der sie vermutlich gekauert hatte. Von hier unten aus konnte sie den Pfeil nicht sehen, doch sie wusste, dass er da war. Sie blickte zu Cullens Pferd hinüber, an dessen Sattel weder Bogen noch Köcher hing. Auch hielt Cullen keinen Bogen in der Hand. Ihr Gemahl hatte den Pfeil somit nicht abgeschossen. Sofern dieser Pfeil überhaupt erst heute abgeschossen worden war, dachte sie. Es war gut möglich, dass der Schaft schon seit Jahren im Stamm steckte und das Geräusch, das sie vernommen hatte, durch einen zurückschnellenden Zweig oder ein herabfallendes Vogelnest ausgelöst worden war. Evelinde hatte beim Klettern die Äste ziemlich ins Schwanken gebracht.
Leider hatte sie den Pfeil nicht eingehend genug betrachtet, um sagen zu können, ob er verwittert aussah
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