Der Teufel von Garmisch
es erwartet hatte. Burgls
Schilderung hatte für ihn so geklungen, als könne Ferdi sich vor Patienten
nicht retten. Und nun meinte Ferdi, er wolle nicht klagen. »Wolle« – nicht
»könne«, was in Schwemmers Ohren doch ein erheblicher Unterschied war.
»Und jetzt soll Burgl bei dir einsteigen?«, hatte er gefragt, und
Ferdi hatte sich etliche Male geräuspert, bevor er sich traute, ihm in die
Augen zu sehen.
»Hör zu, Balthasar«, hatte er endlich angefangen, »es hat sich
einfach so ergeben, verstehst? Wir haben im Café gesessen und geredet, und dann
kam das irgendwie auf. Burgl war ganz begeistert von der Idee. Ich selbst hatte
ja schon Bedenken.«
»Weshalb?«
Ferdi hatte die Achseln gezuckt und ihn vielsagend angeschaut.
Burgl war ganz begeistert von der Idee.
Schwemmer trank von seinem Bier und stellte irritiert fest, dass
auch das dritte bereits zur Neige ging. Dabei hatte die Tagesschau gerade erst
begonnen. Tatsächlich schlugen hinten, weit in der Türkei, oder zumindest
ungefähr in der Gegend, die Völker aufeinander, aber er schaffte es nicht, sich
dafür zu interessieren. Er stand auf, stellte sich ans Fenster und trank sein
Glas aus.
»Dann kehrt man abends froh nach Haus und segnet Fried’ und
Friedenszeiten«, sagte er und ging in die Küche, um sich ein neues Bier zu
holen.
Natürlich hatten sie auch über den Fall gesprochen. Schwemmer hatte
ihm eine Zusammenfassung gegeben, und Ferdi hatte sich die Fotos vom Tatort
angesehen, ohne irgendeine unprofessionelle Regung zu zeigen. Und er hatte ein
paar vernünftige Fragen gestellt.
»Am bemerkenswertesten scheint mir die Sache mit der Herzmassage«,
hatte er gesagt. »Das ergibt kein konsistentes Bild.« Dann war er aufgestanden
und hatte seinen seltsamen Strohhut vom Schreibtisch genommen, wo er ihn
abgelegt hatte.
»Was soll ich sagen? Es ist, wie es ist«, hatte er gesagt und dabei
den Hut in den Händen gedreht. »Ich weiß, dass du sauer bist, auch wenn’s
wirklich lange her ist. Aber ich denke, wir sollten einen Modus Operandi
finden. Irgendeinen.«
Dann hatte er Schwemmer die Hand hingehalten und dabei ausgesehen,
als hätte er Angst. Schwemmer hatte sie geschüttelt, ohne ihm wehzutun.
Und dann hatte Ferdi gefragt: »Wisst ihr schon was wegen meinem
Hund?«
Alles in allem war es also ganz okay gewesen mit dem Ferdi, dachte
Schwemmer, während er sein nächstes Bier einschenkte.
Aber Burgl war immer noch nicht da.
* * *
Sebastian war erleichtert, als er feststellte, dass er daheim
allein war. Entweder war sein Vater mutig genug gewesen, den kursierenden Verdächtigungen
zum Trotz ins angestammte Wirtshaus zu gehen, oder er hatte sich einen neuen
Ort gesucht, an dem er in seine Halbe starren konnte.
Sebastian hockte sich auf den Schreibtischstuhl in seinem Zimmer und
sah aus dem Fenster. Die Wolken über den Dächern hatten Lücken bekommen, die
immer weiter aufrissen, und wurden an den Rändern von der untergehenden
Herbstsonne golden gefärbt. Es war wie ein Versprechen für ein paar letzte
schöne Tage, bevor der Winter kam.
Sebastian war erschöpft. Geistig, und körperlich sowieso. Sein
Ellbogen schmerzte, und ihm graute vor der Nacht. Er hatte keine Ahnung, in
welcher Position er schmerzfrei würde liegen oder gar schlafen können. Carinas
Tabletten kamen nicht mehr in Frage. Was, wenn die Stimme anrief, während er im
medikamentösen Tiefschlaf lag? Dann würde es sofort einen neuen Anschlag geben.
Die Stimme!
Er musste raus aus seiner Panik. Er musste nachdenken. Es musste
einen Weg geben, die Stimme zu finden. Er versuchte, sich zu konzentrieren. Was
wusste er?
Die Stimme konnte ihn sehen, wenn sie wollte. Sie war in der Nähe.
Er sah auf die Straße hinunter. Konnte es sein, dass die Stimme in
der Nachbarschaft wohnte? In einem der Häuser gegenüber vielleicht? Dass der
Mörder dort drüben hinter einem der gardinenverhangenen Fenster stand und ihn
mit einem Fernglas beobachtete? Oder saß er unten in der »Kaffee-Börse« und
blickte nur ab und zu angelegentlich aus dem Fenster? Verfolgte er ihn, wenn er
mit seinem R5 losfuhr?
Sebastian nahm ein DIN-A 4-Blatt aus
dem Papierschacht des Druckers.
»1. Nacht«, schrieb er hin. Dann darunter: »Mö. bei S.«
Er kaute auf dem Ende des Stifts herum. Der Mörder war im Haus
gewesen. Sebastian war hineingegangen und in seinen Hinterhalt geraten. Hatte
er gewusst, dass Sebastian vor der Tür stand? Hatte er die Tür absichtlich
geöffnet? Letztlich war es
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