Der Teufel von Garmisch
Fensterscheibe gelehnt.
»Wer redet dir so was ein?« Schafmann konzentrierte sich wieder auf
den Verkehr. Immer noch kam keine Antwort von der Rückbank. An der nächsten
Einmündung bog er rechts ab und hielt am Straßenrand an.
»Was ist los, Großer? Spuck’s aus.«
Fabian sah ihn immer noch nicht an. Seine Augen glänzten feucht.
»Ich will nicht mehr spielen«, schluchzte er und brach endgültig in
Tränen aus.
Schafmann stieg aus, ging um den Wagen herum und öffnete die hintere
Tür. Aber als er in die Knie ging, um seinen Sohn in den Arm zu nehmen, stieß
der ihn weg und flüchtete auf die andere Seite der Rückbank.
Schafmann fühlte einen Stich, aber er wusste, dass es im Moment
keinen Weg zu Fabian gab.
»Schnall dich wieder an«, sagte er und warf die Tür zu.
Der Rest der Fahrt verlief schweigend. Als er in der Einfahrt den
Motor abgestellt hatte, sprang Fabian aus dem Wagen und rannte ins Haus.
»Was ist los?«, fragte Bärbel, als er die Stube betrat.
Fabian war schnurstracks in sein Zimmer gelaufen und hatte die Tür
hinter sich zugeknallt.
»Die Pubertät, fürchte ich«, sagte Schafmann. »Der Trainer stellt
ihn am Samstag nicht in seiner Sturmreihe auf, und jetzt ist Eishockey nur noch
ein Sport für Asis.«
»Das legt sich wieder«, sagte Bärbel und ging in die Küche. Der
Tisch war für drei gedeckt, die beiden Kleinen waren schon im Bett. Schafmann
setzte sich und schenkte sich eine Tasse Pfefferminztee aus der Thermoskanne
ein. Bärbel kam mit einem Topf aus der Küche und stellte ihn auf einen
Untersetzer. Dann ging sie noch einmal hinaus. Schafmann hörte sie die Treppe
hochgehen und an Fabians Zimmertür klopfen.
»Magst nix essen, Fabi?«, fragte sie.
Schafmann konnte die Antwort nicht verstehen, aber Bärbel kam allein
wieder herunter. Seinen fragenden Blick beantwortete sie mit einem Achselzucken
und füllte dann ihre Teller mit Leberknödelsuppe.
Eine Weile aßen sie schweigend.
»Heute keine Überstunden?«, fragte Bärbel dann.
»Nein.«
»Wieso wusste Balthasar gestern nicht, dass du Überstunden machst?«
Sie hatte den Löffel hingelegt und sah ihn an. Schafmann hielt den
Blick auf seinen Teller gerichtet.
»Er ist mit dem Fall nicht befasst. Ich muss ihm nicht jedes Mal
Bescheid geben.«
»Aber ungewöhnlich ist es schon.«
Schafmann hob die Schultern. »Er ist nicht mehr der Chef«, sagte er
und hoffte, dass sie ihm diesen Unfug durchgehen ließ. Denn Bärbel hatte
natürlich recht. Schwemmer war immer noch sein direkter Vorgesetzter, und auch
wenn es nicht Vorschrift war, faktisch wusste er immer, was Schafmann tat.
Außer gestern.
Bärbel nahm den Löffel wieder auf und teilte damit ihren zweiten
Knödel in zwei Hälften.
»Ich hab einfach nicht dran gedacht«, sagte Schafmann heiser.
»Du denkst immer an so was«, sagte Bärbel.
Jetzt war es Schafmann, der den Löffel auf den Tisch legte. Er
straffte sich. »Herrschaftszeiten, was ist so schlimm daran, dass ich Balthasar
mal nicht Bescheid gesagt hab? So schlimm, dass du
mir noch am nächsten Tag Vorhaltungen machen musst?«
»Ich mach dir keine Vorhaltungen.«
»Wie nennst du das denn sonst?« Schafmann war lauter geworden, als
er vorgehabt hatte. Bärbels Blick wurde kühl. Ein paar Sekunden lang sah sie
ihn schweigend an, dann aß sie weiter.
Schweigend beendeten sie ihr Mahl. Bärbel stand auf und räumte den
Tisch ab. Schafmann wechselte auf die Couch hinüber und schaltete den Fernseher
ein.
Er hörte seine Frau in der Küche werkeln und dann die Treppe
hinaufgehen. Sie kam nicht wieder herunter.
Blicklos starrte er auf den Bildschirm, wo irgendeine Schmonzette
lief. Er nahm nichts davon wahr.
Das geht nicht, dachte er. Das darf ich nicht. Das darf nicht sein.
Dann dachte er an den Duft einer frisch gemähten Wiese.
* * *
»Und?«, fragte die Stimme. »Hat die Polizei mit dir gesprochen?«
»Ja«, antwortete Sebastian.
»Und du warst brav und hast ihnen nichts erzählt. Heute hast du mir
noch gar keinen Grund gegeben, böse auf dich zu sein. Du bist ein guter Junge,
Basti.«
Sebastian sah auf das Blatt, das vor ihm auf dem Schreibtisch lag.
»Mö. unterbricht Gespräch – weil er gestört wird?«, stand da. Es war
das Letzte, was er vor dem Anruf notiert hatte. Gestern im Büro, nachdem Hansi
hereingeplatzt war, hatte die Stimme das Gespräch plötzlich unterbrochen. Er
lauschte aufmerksam, aber er hörte keine Nebengeräusche.
»Sie haben mit meinem Vater gesprochen«, sagte
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