Der Teufel von Garmisch
Sebastian.
»Ja. Er scheint ein recht unhöflicher Mensch zu sein.«
Sebastian sagte nichts. Das war sein Vater wirklich, aber wer wäre
höflich, wenn er um vier Uhr morgens von einem Fremden aus dem Schlaf
geklingelt wird.
»Du hättest das Handy mitnehmen müssen, Sebastian. Dann hätte ich
dich warnen können vor der Polizei.«
»Ich war in Eile«, sagte Sebastian.
Die Stimme lachte. Es klang wirklich amüsiert. »Du solltest in
Zukunft nie ohne dein Handy aus dem Haus gehen. Ganz besonders ,
wenn du in Eile bist. Wer keine Zeit hat, darf die Ruhe nicht verlieren.«
Sebastian verzog angewidert das Gesicht. Er hätte speien mögen.
»Ich muss übermorgen nach Köln«, sagte er.
»Warum?«
»Da ist eine Messe. Ich muss mit, weil Susanne Berghofer ermordet
wurde.«
»Du meinst, ich hätte das zu
verantworten?«
Das kann man wohl sagen, dachte Sebastian, hielt aber den Mund.
»Ich weiß noch nicht, ob ich dir das erlauben kann, Sebastian. Das
hängt von den Umständen ab.«
Sebastian presste sein Handy ans Ohr. Da war etwas gewesen. Ein
Geräusch. An- und wieder abschwellend. Ein Motor?
»Wann werden Sie es denn wissen?«
»Das ist nicht die Frage, Sebastian. Die Frage ist, wann ich dir
meine Entscheidung mitzuteilen gedenke.«
Da war es wieder. Ein Motor, ziemlich sicher.
»Mir ist es egal«, sagte Sebastian. »Meinen Chef interessiert das
mehr als mich.«
»Oho«, sagte die Stimme. »Höre ich da eine kleine Spur Hochmut
heraus?«
»Nein. Das ist Fatalismus.«
»Halte das gut auseinander, Sebastian.«
Und wieder: ein Motorengeräusch. Es bewegte sich gedämpft an dem
Standort vorbei, von dem die Stimme anrief. Dreimal in der letzten halben
Minute. Eine regelmäßig, aber nicht zu stark befahrene Straße.
»Wenn ich nicht mitfahre, schmeißen sie mich wahrscheinlich raus.«
»Und? Täte dir das leid?«
»Im Moment hab ich größere Probleme.«
»Das weiß ich, Sebastian, aber das ist keine Antwort auf meine
Frage. Täte es dir leid, wenn sie dich rausschmeißen?«
»Wenn es mir nicht leidtäte, würde ich kündigen«, sagte Sebastian
und wusste sofort, was die Stimme dazu sagen würde.
»Das würdest du nicht, Sebastian. Nicht der Sebastian, den ich
kennengelernt habe. Der wird noch am Sankt-Nimmerleins-Tag ›Member of
Development Department‹ sein.«
Er sagte nichts. Die Stimme hatte recht.
»Wir werden sehen«, sagte die Stimme, dann war die Verbindung
unterbrochen.
»Mö. wohnt an befahrener Straße«, schrieb Sebastian.
Er ging ins Bad. Vater war noch nicht aufgetaucht. Er putzte sich
die Zähne und machte sich fertig fürs Bett. Zurück in seinem Zimmer schaltete
er das Licht aus, zog sich die Decke über den Kopf und begann sich auf lange,
quälend wache Stunden einzurichten. Bevor er damit fertig war, war er
eingeschlafen.
* * *
Burgl reichte Schwemmer ein Glas von dem Barbera, den sie
gestern bei dem Italiener gekauft hatte. Schwemmer nahm es mit verdrossener
Miene entgegen.
»Es tut mir leid«, sagte sie und stieß ihr Glas an seines. »Aber
gestern Abend haben wir uns nicht gesehen, und heute Morgen warst du so stinkstieflig,
dass ich mich nicht getraut hab, es dir zu sagen.«
Schwemmer schwenkte stumm sein Glas unter der Nase. Burgl tat es ihm
nach.
»Hat eine schöne Farbe«, sagte Burgl. »Aber die Nase … ich weiß
nicht …«
Schwemmer verkniff sich eine Bemerkung. Die Nase war tatsächlich
eine Enttäuschung, aber er hatte keine Lust, über Wein zu reden. Burgl hatte
sich nicht lange mit der Entscheidungsfindung aufgehalten und ihre Arbeit in
Ferdis Praxis bereits aufgenommen, was Schwemmer erst erfahren hatte, als sie
weit nach der Tagesschau nach Hause gekommen war.
»Wenigstens Ferdi hätte es mir sagen können, wenn meine Frau es
schon nicht für nötig hält«, sagte er.
»Ich glaube, dazu hat er zu viel Respekt vor dir.«
»Respekt? Schiss hat der Kerl. Sag mal, wessen Idee war das
eigentlich, dass du bei ihm einsteigst? Seine?«
Burgl sah ihn an, als habe sie sich diese Frage noch nicht gestellt.
»Kann ich nicht genau sagen. Das kam so im Gespräch.«
Schwemmer knurrte ärgerlich.
Sie nahmen beide einen ersten Schluck, und der Wein hielt, was die
Nase versprochen hatte: nicht viel.
»Na ja«, sagte Burgl mit einem schiefen Lächeln.
Schwemmer verzichtete auf die Frage, was sie dafür bezahlt hatte.
Sie setzte sich neben ihn und legte ihm die Hand auf den Unterarm.
»Sei mir nicht böse, Hausl«, sagte sie.
»Schon gut«, brummte Schwemmer
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