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Der Teufel von Garmisch

Der Teufel von Garmisch

Titel: Der Teufel von Garmisch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Schueller
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Anhieb gelungen war, zwei Zimmer in einer völlig
überbuchten Messestadt zu besorgen. Anders konnte er ihren gesenkten Blick und
die verhuschte Haltung nicht deuten.
    »Auf einem Schiff hab ich noch nie geschlafen«, sagte Sebastian
betont fröhlich. »Ist bestimmt lustig.«
    Sie warf ihm einen zweifelnden Blick zu. Er antwortete mit einem
Lächeln.
    »Ich probier’s gleich weiter«, sagte sie. »Ich ess nur eben noch
auf.«
    »Keine ungesunde Eile, Frau Öckler«, sagte Selbach. »Zeit für einen
Kaffee danach ist allemal.«
    Sie beschäftigten sich schweigend mit ihren Mahlzeiten, wobei
Sebastian sich zu seinem Putenbrust-Cordon-bleu fast zwingen musste, obwohl es
für die Verhältnisse der GAP -Data-Cafeteria
eigentlich sehr schmackhaft war.
    Es war Carina, die das Schweigen brach, kurz bevor es unangenehm
wurde.
    »Sie haben gestern vom Schießen erzählt«, sagte sie. »Wo genau
machen Sie das eigentlich?«
    Selbach schien die Frage nur ungern beantworten zu wollen. »Im
Verein«, sagte er endlich.
    »In welchem?«
    »Den königlichen Altschützen.«
    »Die sind am Hausberg?«
    »Genau.«
    »Und da schießen Sie regelmäßig?«
    »Ja.«
    »Wie oft?«
    »Alle paar Wochen.«
    »Waren Sie schon Schützenkönig?«
    Selbach lachte. »Nein. Das war aber auch nie mein Bestreben.«
    Trotz des Lachens war spürbar, dass Selbach nicht gern über das
Thema redete. Er schien zu bedauern, es gestern überhaupt aufs Tapet gebracht
zu haben.
    »Mein Vater war mal Schützenkönig«, sagte Carina und klang stolz
dabei. »In Wunsiedel, da haben wir damals gewohnt. Ich war noch im
Kindergarten.«
    »Wunsiedel? Wo ist das denn noch?« Merklich dankbar stieg Selbach
auf den möglichen Themenwechsel ein.
    »Im Fichtelgebirge, im Oberfränkischen, südlich von Hof …«
    Sebastian schaltete ab. Seine Gedanken kreisten um die Überraschung,
die die Stimme ihm versprochen hatte. Eine nicht sehr schöne. Und darum, dass
die Stimme ihn im Büro nun zum zweiten Mal angerufen hatte, kurz bevor Selbach
es betrat.
    Selbach, der gern schoss, aber nicht gern drüber sprach.
    Herr Selbach.
    »He-se« hatte er eine piepsige Stimme sagen hören.
    Vielleicht war es »Herr Selbach« gewesen. Jemand war in Selbachs
Büro geplatzt, und er hatte hastig unterbrochen, sodass die letzte Silbe
abgeschnitten worden war. Sebastian bemerkte nicht, dass er bewegungslos vor
seinem Cordon bleu saß und es anstarrte.
    »Schmeckt’s nicht?«, hörte er Selbach fragen und schreckte auf.
    »Doch, doch«, beeilte er sich. »Ich bin nur in Gedanken, wegen
morgen … Ich hab ja keine Routine bei solchen Reisen.«
    »Ich hab für mich eine Checkliste«, sagte Selbach. »Ich bin ja auch
immer schon viel unterwegs gewesen.«
    »Ja klar, als Fußballer«, sagte Carina.
    »Ach, ich weiß nicht, ob ich als Vertriebler wirklich weniger reise
als als Sportler. Es kommt mir eigentlich nicht so vor.«
    Sofort waren er und Carina wieder im Gespräch. Sebastian musterte
Selbach unauffällig von der Seite. Es gelang ihm nicht, den Mann unsympathisch
zu finden. Er sah gut aus, wirkte aber, als hätte er sich noch nie Gedanken
darüber gemacht. Er war klug und gebildet, ließ es aber nicht raushängen. Er
war freundlich zu Leuten wie Carina. Und mir, dachte Sebastian.
    Im Moment hatte er ihm ja auch was zu bieten.
    Im Moment braucht er mich, dachte er. Er braucht mich in Köln.
    Seine Mutter hatte es auswendig gelernt: »… dass sie ihren
eigenen Nutzen davon haben, wenn sie für ihn tun, was er von ihnen haben will.
Adam Smith, 1723 bis 1790.«
    Er zwang sich wieder zurück in die Gegenwart und säbelte
entschlossen ein Stück von der Putenbrust. Die Goudafüllung zog Fäden, die er
um die Gabel wickelte, bis sie abrissen. Er steckte das Stück in den Mund und
kaute so entschlossen, wie er es zuvor abgeschnitten hatte, aber er nahm den
Geschmack gar nicht wahr.
    Er hatte einen Verdacht.
    Das war in seiner Situation eine Menge. Viel mehr als nichts. Es
schuf Möglichkeiten, überhaupt etwas zu tun, statt nur passiv auf sein
Handydisplay zu starren wie das Kaninchen auf die Schlange.
    Und es schuf die Möglichkeit, gnadenlos danebenzuliegen.
    Jeder Fehler konnte der letzte sein.
    Er durfte keinen machen.
    »Wo liegt eigentlich das Haus Ihrer Eltern, Herr Selbach?«, fragte
er in eine Gesprächspause hinein.
    »Sie wollen wissen, wo ich wohne?«
    »Ja, wenn Sie so wollen. Ist das in Garmisch?«
    »Nein. In Murnau.«
    »Murnau, da wohn ich auch«, sagte Carina. »Aber ganz am

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