Der Teufel von Herrenhausen
hielt
überhaupt so lange durch.
Im Moment machte
Lisa Grosser den Eindruck, als würde sie jeden Moment zusammenbrechen.
Natürlich hatte er keine Chance, aber Lisa Grosser hatte zurzeit auch keine.
Dann bemerkte sie Bergheim. Er stand am Ende des Weges hinter der Hecke, noch
etwa zwanzig Meter von Hölscher entfernt. Der drehte sich und Lisa Grosser
immer wieder um die eigene Achse.
Charlotte musste
ihn irgendwie ablenken und Bergheim damit Gelegenheit geben zuzuschlagen. Sie
blieb zurück und wartete, bis Hölscher sich dem Ende der Hecke bis auf wenige
Schritte genähert hatte.
Dann rief sie:
»Wenn Sie so weitermachen, stirbt Ihre Geisel, bevor Sie das erledigen können!«
Hölscher blickte
eine Sekunde länger in Charlottes Richtung. Diese Sekunde nutzte Bergheim, um
mit zwei Riesenschritten hinter Hölscher zu springen und das Handgelenk, das
das Messer hielt, zu umklammern und gleichzeitig seine Haare – glücklicherweise
hatte Hölscher eine Menge davon – zu fassen. Das Schlimmste war geschafft. Die
Geisel lebte noch, und Bergheim hielt Hölschers Unterarm eisern umklammert.
Im Nu war
Charlotte zur Stelle, ergriff das Handgelenk und biss kräftig hinein. Hölscher
schrie auf. Das alles dauerte weniger als drei Sekunden. Aber noch bevor
Hölscher überwältigt werden konnte, versetzte er Bergheim mit der freien Hand
einen Faustschlag ins Gesicht. Der war einen Moment benommen, aber mittlerweile
waren die Beamten vom SEK zur Stelle, und Hölscher hatte
keine Chance. Lisa Grosser war ohnmächtig zu Boden gesunken, Charlotte kümmerte
sich um sie.
Hölscher quengelte
wie ein Kleinkind. »Ich will nicht ins Gefängnis.«
Als sie die
Direktion betraten, kam Ostermann ihnen entgegen.
»Na also,
Herrschaften. Es geht doch!« Dann blickte er auf Bergheim und rümpfte die Nase.
»Mein Gott, Bergheim, mussten Sie sich schon wieder prügeln? Das macht keinen
guten Eindruck.«
Bergheim, der ein
Taschentuch gegen seinen lädierten Nasenflügel drückte, stieß ein gepresstes »Tut
mir schrecklich leid« hervor. Charlotte verkniff sich ein Grinsen.
Ausnahmsweise war sie mal nicht der Fußabtreter.
»Frau Wiegand, Sie
werden das hier zu Ende bringen«, fuhr Ostermann fort. »Ihr Kollege sollte sich
ausruhen. Und ich bin ab jetzt im Urlaub.«
Damit ließ er sie
stehen.
Charlotte
frohlockte innerlich. Das hieß ja dann wohl, dass sie mit dem Abschlussbericht
noch ein bisschen Zeit hatten.
Sie gingen in den
Vernehmungsraum, wo Herrmann auf sie wartete.
»Wie geht es
meiner Tochter?«, fragte er.
»Es geht ihr gut.
Sie ist in der MHH und wird versorgt.«
Herrmann nickte
und sah dann zu Boden. Bergheim nahm ihm die Handschellen ab. Dann setzte er
sich neben Charlotte.
Die musterte ihr
Gegenüber zunächst schweigend. Seine Augen waren wirklich auffallend schräg und
lagen in tiefen Höhlen, das Gesicht war eingefallen, die Haut blass. Die vollen
Haare waren grau gefärbt. Er war sehr schlank, wirkte aber nicht gebrechlich.
Charlotte musste sich eingestehen, dass das Gesicht des Mannes, der da vor
ihnen saß, nicht viel Ähnlichkeit hatte mit dem auf dem Fahndungsbild.
»Herr Herrmann«,
begann Charlotte, »nun erzählen Sie mal.«
Herrmann blickte
sie misstrauisch an. »Ich hab genug geredet, mir hat nie einer geglaubt.«
»Es gibt keinen
Grund mehr, Ihnen nicht zu glauben. Sie sind rehabilitiert. Hölscher hat den
Mord gestanden, für den Sie gesessen haben.«
Herrmann starrte
sie an. Er schluckte und sah zu Boden. Dann verbarg er das Gesicht in den
Händen und weinte.
Charlotte und
Bergheim ließen ihn. Es dauerte fast zehn Minuten, bis Herrmann sich wieder
beruhigte. Dann wischte er sich mit dem Arm übers Gesicht und sah Charlotte an.
»Kann ich gehen?«
Sie nickte. »Sie
sind frei.«
Herrmann stand
auf.
Charlotte erhob
sich ebenfalls. »Wir wären Ihnen dankbar, wenn Sie uns ein paar Fragen
beantworten könnten.«
Herrmann
schüttelte den Kopf. »Ich beantworte keine Fragen mehr.« Er ging zur Tür.
»Es wäre gut, wenn
in unserem Bericht keine offenen Fragen blieben. Nicht nur für uns, auch für
Ihre Tochter.«
Herrmann blieb
stehen. Nach einer Weile drehte er sich um.
»Können wir
woandershin gehen?«, fragte er.
»Wohin Sie
wollen«, sagte Charlotte.
Eine knappe Stunde
später saßen sie in der Altstadt vor dem Broyhan Haus neben der Marktkirche, wo
Herrmann sich ein großes Bier und ein Schnitzel mit Bratkartoffeln bestellte.
Charlotte und
Bergheim begnügten sich mit
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