Der Teufel von Herrenhausen
hat.
ACHT
Der Samstagmorgen
begrüßte Charlotte mit strahlendem Sonnenschein. Sie streckte sich und sah auf
die Uhr. Kurz vor acht. Gott sei Dank, genug Zeit zum Frühstücken. Sie warf
einen Blick auf Bergheim, der mit Jan gegen Mitternacht nach Hause gekommen
war.
Vivian war am
Freitagnachmittag in Jans Zimmer zusammengebrochen. In der MHH hatte man sie an den Tropf gelegt, und
mittlerweile war sie wieder aufgewacht. Ihre Mutter war bei ihr geblieben.
Charlotte stand
auf, duschte, ging zum Bäcker und kaufte ihre geliebten Croissants und
Körnerbrötchen für Bergheim. Um kurz vor neun saß sie mit einem Becher Kaffee
und der Hannoverschen Allgemeinen an dem kleinen Bistrotisch auf dem Balkon und
genoss die Sommerwärme. Um Viertel nach neun kam Bergheim in Boxershorts und
mit nacktem Oberkörper, in der Hand einen Becher Kaffee, und setzte sich zu
ihr.
»Gott, ist das
schön«, sagte er und streckte sich. »Ich darf gar nicht dran denken, dass bald
wieder Winter wird. Wir sollten auswandern. In die Karibik. Da ist immer
Sommer.« Er griff nach einem Kürbiskernbrötchen.
»Ja«, sagte
Charlotte, »das muss traumhaft sein.« Dann sah sie ihn forschend an. »Was war
gestern los?«
Bergheim zuckte
mit den Schultern. »Na, was schon. Das Mädchen ist zusammengebrochen. Kein
Wunder. Das kann man schon nicht mehr Untergewicht nennen, die ist ein
wandelndes Gerippe.« Bergheim konnte es kaum glauben. »Wie ist so was nur
möglich?«, murmelte er.
»Was sagt die
Mutter?«
Bergheims Züge
verhärteten sich. »Ja, die scheint das gar nicht zu begreifen. Hat immer
gesagt, ist doch verständlich, wenn jemand schlank sein will.«
Charlotte zog die
Stirn kraus. »Ich versteh das gar nicht. Früher – das ist noch gar nicht so
lange her, vielleicht etwas mehr als ein halbes Jahr, da war das Mädchen noch
ziemlich proper. Jetzt ist sie gewachsen und hat anscheinend aufgehört zu
essen. Was geht nur in diesen Mädchen vor?«
»Das wüsste ich
auch gerne«, sagte Bergheim, der sich eine dicke Salamischeibe absäbelte und
zwischen seine Brötchenhälften klemmte.
»Und was passiert
jetzt?«
»Na ja«, Bergheim
biss herzhaft in sein Brötchen, »sie wird eine Therapie machen müssen. Aber das
ist nicht so einfach. Vivian will nichts von Therapie wissen.«
»Oh«, sagte
Charlotte, »das ist gefährlich.«
»Allerdings.«
»Was sagt dein
Sohn?«
Bergheim kicherte.
»Er hat sie tatsächlich beatmet. Wär gar nicht nötig gewesen, hat der Sani
gesagt. Jan fand das nicht so toll, ist aber mitgefahren. Wir sind dann noch
bei McDonald’s vorbei.«
»Aha«, sagte
Charlotte und stand auf. »Ich muss mich auf den Weg machen. Bei dem Wetter ist
bestimmt ganz Hannover mitsamt der Region auf den Beinen.«
Veronika Dreier
war eine blasse, mürrische Matrone mit phantasielosen grauen Augen und blond
gefärbten, kinnlangen Haaren. Charlotte hätte sie auf Anfang fünfzig geschätzt,
wusste aber, dass sie erst siebenundvierzig Jahre alt war.
Sie empfing
Charlotte in einer kleinen Erdgeschosswohnung in der Nordstraße, am Fuß des
Kalimandscharo, und führte sie durch einen kleinen Flur in ein blitzsauberes
Wohnzimmer. Geraffte Stores und großblättrige Grünpflanzen vor den
Sprossenfenstern raubten dem Zimmer kostbares Licht.
Sie setzten sich
auf das Ecksofa um den gläsernen Couchtisch, und Frau Dreier legte
erwartungsvoll die gefalteten Hände in den Schoß.
»Frau Dreier«,
begann Charlotte, »ich habe Ihnen ja bereits gesagt, dass es um den Tod Ihrer
Freundin –«
»Früheren
Freundin«, unterbrach Frau Dreier sie und hob den rechten Zeigefinger.
Charlotte
räusperte sich. »Ja, das sagten Sie schon. Wann haben Sie Frau Frieder das
letzte Mal gesehen?«
»Das kann ich
Ihnen ganz genau sagen: vor zweieinhalb Jahren. Danach habe ich den Kontakt zu
ihr abgebrochen. Mit so was gebe ich mich nicht ab.«
»Tatsächlich«,
sagte Charlotte, »was hatte sie denn verbrochen?«
Frau Dreier reckte
die Schultern. »Na ja, Sie wissen ja sicher, dass Sie … trank.«
Charlotte nickte
und wartete, aber diese Begründung schien für Frau Dreier auszureichen, um eine
gute Freundin in die Wüste zu schicken.
»Wie lange kannten
Sie sich?«, fragte Charlotte.
»Ungefähr fünf
Jahre.«
»Und dann haben
Sie in den zweieinhalb Jahren vorher nicht bemerkt, dass Frau Frieder
Alkoholikerin war?«, fragte Charlotte ungläubig.
Frau Dreier
räusperte sich unbehaglich. »Natürlich, Jutta hat immer viel getrunken, aber
sie hat sich
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